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Wassermelone: Roman (German Edition)

Wassermelone: Roman (German Edition)

Titel: Wassermelone: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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Ansicht, ich sei zu dick, war falsch. Ich war nicht zu dick. Mit mir war alles in Ordnung. Die anderen waren zu dünn. Ich hatte keinen Anlass, mich zu ändern. Ich brauchte lediglich die Welt um mich herum zu ändern. Es genügte, alles, was mich umgab, etwa fünfzehn Prozent zu vergrößern – Kleidungsstücke, Möbel, Menschen, Gebäude, Länder –, und mit einem Mal hätte ich wieder die richtige Größe! Na gut, sagen wir zwanzig Prozent. Dann konnte ich mich wahrhaft zierlich fühlen.
    Alles, begriff ich rasch, war eine Frage der Relation . Alles war lediglich im Vergleich mit seiner Umgebung gut oder schlecht, dick oder dünn, groß oder klein.
    Also behalten Sie Ihre klugen Bemerkungen darüber, dass ich Mums Nachthemd trug, für sich. Mein Wahnsinn (jedenfalls jener besondere Aspekt davon) hatte Methode. Ich wusste durchaus, was ich tat. Ich kam mir richtig abgemagert vor. Dünn, mädchenhaft und leichtfüßig wie eine Elfe.
    Es kostete mich etwa zehn Minuten aufzustehen, und als ich schließlich auf dem Boden stand, hätte ich mich fast erwürgt, weil ich auf den hinteren Saum des Nachthemdes trat und damit den Kragen vorn so ruckartig hochzog, dass er sich mir wie ein Schraubstock um den Hals legte.
    Ich keuchte und hustete ziemlich laut, und Kate begann in ihrem Bettchen unruhig zu werden. Schlaf bitte weiter, Schätzchen, dachte ich verzweifelt. Schrei bloß nicht. Es gibt keinen Grund dazu.Alles kommt in Ordnung. Ich hol deinen Daddy wieder. Du wirst es sehen. Bis dahin hältst du hier die Stellung.
    Wunderbarerweise beruhigte sie sich, lag wieder still und wurde nicht wach. Auf Zehenspitzen schlich ich mich aus dem dunklen Zimmer und erreichte den Treppenabsatz. Das gewaltige Nachthemd schwang weiträumig um mich herum, während ich die unbeleuchtete Treppe hinabging. Das Telefon stand unten in der Diele. Das einzige Licht kam von der Straßenlaterne vor dem Haus. Es fiel durch die Milchglasscheiben der Haustür herein.
    Ich begann, die Nummer meiner Wohnung in London zu wählen. Das Geräusch der Wählscheibe hallte in der Stille des schlafenden Hauses wider und klang wie Gewehrfeuer.
    Großer Gott, dachte ich zitternd. Bestimmt kommen gleich die McLoughlins drei Häuser weiter, um sich über den Lärm zu beschweren.
    Während sich das Telefon in Dublin mit dem in der leeren Wohnung in einer über sechshundert Kilometer entfernten Stadt in Verbindung setzte, knackte es einige Male.
    Ich ließ es klingeln. Vielleicht hundertmal, vielleicht auch tausendmal.
    Es klingelte und klingelte in einer kalten, dunklen, leeren Wohnung. Ich konnte mir richtig vorstellen, wie das Telefon neben dem Bett klingelte, auf dessen glattem Laken niemand schlief, neben dem Bett, über das vom Fenster her Schatten fielen, weil von der Straße Licht durch die Vorhänge hereinkam, die offen waren, weil niemand da war, der sie schließen konnte.
    Ich ließ es immer weiter klingeln. Allmählich verließ mich die Hoffnung.
    James nahm nicht ab. Weil er nicht da war. Er war in einer anderen Wohnung. In einem anderen Bett. Bei einer anderen Frau.
    Meine Vorstellung, dass ich ihn zurückbekommen konnte, nur weil ich ihn zurückhaben wollte, war verrückt. Ich musste verrückt sein, wenn ich glaubte, es genüge, einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass er mit einer anderen Frau lebte. Er hatte mich verlassen. Er hatte mir gesagt, er liebe eine andere.
    Allmählich wurde ich wieder vernünftig.
    Die Einstweilige Verrücktheit hatte an meine Tür geklopft, und ich hatte gerufen: »Komm ruhig rein, es ist offen.« Glücklicherweise war der Wirklichkeitssinn unerwartet nach Hause gekommen und hatte gesehen, wie die Einstweilige Verrücktheit ungehindert durch die Gänge meines Hirns streifte, Räume betrat, Schränke öffnete, meine Briefe las, in meiner Unterwäsche-Schublade herumstöberte und dergleichen. Er war losgelaufen und hatte die Vernunft geholt. Nach einem kurzen Streit war es den beiden gelungen, die Einstweilige Verrücktheit vor die Tür zu setzen und sie ihr vor der Nase zuzuschlagen. Jetzt lag sie keuchend auf dem Kies der Auffahrt meines Geistes und schrie wütend: »Sie hat mich reingebeten. Sie wollte, dass ich reinkomme.«
    Wirklichkeitssinn und Vernunft beugten sich aus einem Fenster im Obergeschoss und schrien: »Verschwinde. Du bist hier unerwünscht. Wenn du nicht in fünf Minuten weg bist, rufen wir die Gefühlspolizei.«
    Vermutlich hätte jeder Psychiater, der sein Geschäft verstand, gesagt, ich

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