Wassermelone: Roman (German Edition)
und erweckte in sehr glaubhafter Weise den Eindruck, ihr Freund zu sein.
Wusste er nicht, was sich gehörte? Hatte er keinen Sinn für Anstand? Aber ich hatte mich wohl geirrt. Ich sah ihn an, und unsere Blicke trafen sich für einen Moment. Es war ihm ganz entsetzlich peinlich.
Offenbar wusste er, dass er ins Fettnäpfchen getreten war. Er sah ganz knabenhaft und furchtsam drein. Wie ein ungezogener kleiner Junge.
Die Anspannung und Betretenheit im Raum ließ sich mit Händen greifen.
»Ich geh wohl besser runter zu Helen und ihrem Referat«, sagte er rasch und schleuderte Kate praktisch in Richtung ihres Bettchens. Dann stürmte er aus dem Zimmer, ohne sich umzusehen.
Ich setzte mich aufs Bett und fühlte mich ziemlich sonderbar. Kam ich mir blöd vor, weil ich zu stark reagiert hatte? Betrübte mich mein Zynismus, mit dem ich einen übereilten Schluss gezogen hatte? War ich … Gott behüte! … etwa enttäuscht?
Nein, entschied ich. Enttäuscht bestimmt nicht. Aber sicherlich ein bisschen blöd.
Du hast zu lange nichts mit Männern zu tun gehabt, sagte ich mir streng. Du solltest dich da wieder einklinken, damit du beim nächsten Mal, wenn dir ein anziehender Mann über den Weg läuft, keine lächerlichen Schlüsse ziehst.
Gleichzeitig aber muss ich zugeben, ich war ein bisschen gekränkt wegen der Art, wie er darauf reagiert hatte, dass wir ein Kind haben könnten. Es gab keinen Grund, so entsetzt dreinzuschauen.
Mein Verhalten war typisch. Nach dem klassischen Muster hatte ich binnen dreißig Sekunden alle Gefühle durchlaufen: von Wut über die Möglichkeit, dass er etwas von mir wollte, zu Wut darüber, dass er nichts von mir wollte. Rationales Verhalten war noch nie meine Stärke.
Schon möglich, dass ich eine »ältere Dame« war, aber ich war auch nicht gerade Draculas Braut. Ich hätte ihm gern klargemacht, dass mich viele Männer anziehend fanden.
Es musste doch irgendwo welche geben! Unter den drei Milliarden Menschen auf unserem Planeten würde ich sicher ein paar Unglückliche auftreiben, die mich gern ansahen.
Was für eine Frechheit von diesem Burschen! Bloß weil er zufällig blendend aussah, hatte er noch lange nicht das Recht, so zu tun, als wäre ich eine Schreckschraube. Auch wenn ich nicht ganz so schön war wie Helen.
In Wahrheit war ich nicht annähernd so schön wie Helen. Aber zu meinen Eigenschaften gehörte Güte.
Allerdings hat noch nie jemand einen anderen haben wollen, weil Güte zu seinen Eigenschaften gehörte. Andernfalls müsste sich Mutter Teresa ihre Verehrer mit Knüppeln vom Leibe halten. Nun ja.
Ich fütterte Kate und legte sie wieder ins Bett. Dann ging ich nach unten zu Mum.
Dabei kam ich an Helens fest verschlossener Zimmertür vorbei. Offensichtlich hatten es sich die beiden gemütlich gemacht. Von wegen Helens Referat schreiben! Mum und Dad mochten die Ausrede glauben, aber ich hatte sie selbst viel zu oft verwendet, als dass ich nicht wüsste, was Sache war.
Andererseits, wenn sie es wirklich miteinander trieben, taten sie das sehr leise.
Natürlich habe ich nicht etwa an der Tür gelauscht oder so was. Außerdem hatte es nicht das Geringste mit mir zu tun.
Helen konnte bumsen, mit wem sie wollte. Adam auch. Das hatte, wie schon gesagt, mit mir nicht das Geringste zu tun.
Ich setzte mich zu meiner Mutter vor den Fernseher.
Sehr viel später hörten wir Helen und Adam in der Küche. Dann hörten wir, wie sie ihm auf Wiedersehen sagte.
Er steckte noch einmal den Kopf durch die Tür, dankte für das wunderbare Abendessen und sagte, er hoffe, uns bald wiederzusehen.
Meine Mutter und ich lächelten ihm zum Abschied zu.
»Ein netter, höflicher junger Mann«, sagte sie mit zufriedener Stimme.
Ich gab ihr darauf keine Antwort. Für jemanden, der gerade gebumst hat, sah er meiner Ansicht nach wirklich nicht übermäßig zerzaust aus. Ich fragte mich, warum ich mir darüber den Kopf zerbrach.
11
N achdem Helen Adam in die nasse, wilde Märznacht hinausgeschickt hatte, damit er sich auf den Heimweg nach Rathmines machte, schloss sie die Haustür hinter ihm. Dann kam sie ins Wohnzimmer und setzte sich zu Mum und mir vor den Fernseher.
»Netter Junge«, sagte Mum befriedigt.
»Findest du?«, fragte Helen distanziert.
»Wirklich nett «, sagte Mum mit Nachdruck.
»Nun fang doch nicht schon wieder damit an«, blaffte Helen ärgerlich.
Eine kurze, unbehagliche Pause trat ein. Dann meldete ich mich zu Wort.
»Wie alt ist Adam eigentlich?«, fragte ich
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