Wassermelone: Roman (German Edition)
gewöhnen müssen, dass man ihn bei allen möglichen Gelegenheiten hemmungslos auslachte. Setzte er sich aber zur Wehr und verprügelte einen der kleinen Iren, nannte man ihn einen Schläger und Rabauken, weil er so viel größer und stärker war als die anderen Jungen.
Wir alle nickten mitfühlend, während wir, mit den Ellbogen auf dem Küchentisch, dasaßen und Adam ansahen. Unser Herz schmolz dahin, als wir an den armen, einsamen zwölfjährigen Jungen dachten, der es niemandem recht machen konnte. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Mit einem Mal herrschte statt der vorherigen Munterkeit eine düstere Stimmung.
Selbst mein Vater sah aus, als kämen ihm demnächst die Tränen. Sicher dachte er: Auch mit einem Jungen, der nicht Rugby spielt, darf man so nicht umspringen.
Dann wandte Adam seine ganze Aufmerksamkeit mir zu. Er drehte sich auf seinem Stuhl und sah mich durchdringend an.
In ganz merkwürdiger Weise hatte ich dabei das Gefühl, als wäre ich der einzige Mensch im Zimmer.
Bei allem, was er tat, wirkte er eifrig und begeistert. Wie ein kleiner Welpe. Na ja, wie ein riesiger Welpe.
Zynismus schien ihm fremd zu sein.
So also ist das, wenn man jung ist, dachte ich.
»Claire, erzähl doch von deiner Arbeit«, sagte er. »Helen hat mir gesagt, dass du in einer Wohltätigkeitsorganisation eine ganz wichtige Stelle hast.«
Angesichts des Interesses, das er an mir zeigte, blühte ich auf wie eine Blume in der Sonne.
Bevor ich zu Wort kam, sagte Helen missmutig: »Von wichtig hab ich nichts gesagt, sondern nur, dass sie eine Stelle hat. Außerdem musste sie die aufgeben, wie sie die Kleine gekriegt hat.«
»Ach ja, die Kleine«, sagte er. »Kann ich die mal sehen?«
»Natürlich«, sagte ich entzückt und fragte mich zugleich, warum sich Helen so biestig aufführte. Noch biestiger als sonst, meine ich damit.
»Kate schläft zwar gerade, aber in etwa einer halben Stunde wacht sie auf, dann kannst du sie sehen.«
»Toll«, sagte er und sah mich an.
Wirklich, er war wunderbar. Seine Augen waren meerblau, und er hatte einen unvorstellbar schönen Körper.
All diese Beobachtungen waren natürlich ausschließlich objektiv, ungefähr so: Er ist der Freund meiner Schwester, und deswegen darf ich seine Schönheit unter rein ästhetischen Gesichtspunkten beurteilen.
Ich kam mir ein wenig vor wie eine weise alte Frau, die gutaussehende Männer bewundert, zur Kenntnis nimmt, wie großartig sie sind, und sich zugleich eingesteht, dass für sie die Zeit, da sie mit solchen Männern herumtändelte, längst vorüber war.
Er war so groß und sah so erotisch aus, obwohl er nur ausgeblichene Jeans und ein graues Sweatshirt trug.
Die Mousse au chocolat, die ich als Nachtisch servierte, wurde mit weit mehr Begeisterung aufgenommen als der Hauptgang. Man musste sich richtig schämen, wie sich Anna, Helen und Dad um die größte Portion stritten, noch dazu, wo wir Besuch hatten. Aber Adam lachte nur gutmütig.
Nach einer Weile ging ich mit ihm nach oben. Wir betraten Kates Zimmer auf Zehenspitzen.
»Darf ich sie mal halten?«, fragte er ehrfurchtsvoll.
»Natürlich«, lächelte ich, ganz gerührt.
Ich glaubte, nie etwas so Reizendes gehört zu haben. Ein so großer, starker Mann wollte meine Kleine sehen.
Etwa so, wie ein tapsiger breitschultriger Fernfahrer weint, wenn er Country- und Westernmusik hört. Es passt nicht recht zusammen und ist herzergreifend.
Ich gab ihm vorsichtig Kate, und er nahm sie und hielt sie achtsam. Sie wachte nicht mal auf. Wie dumm von ihr!
Was für eine Tochter zog ich da eigentlich auf? Da wurde sie zum ersten Mal von einem schönen Mann gehalten und verschlief es.
Ein wunderbares Bild. Der hünenhafte junge Mann, der das vollkommene kleine Mädchen in den Händen hielt.
»Was für eine Farbe haben ihre Augen?«, fragte er.
»Sie sind blau«, sagte ich. »Alle Kinder haben zuerst blaue Augen, später ändert sich normalerweise die Farbe.«
Er sah sie weiterhin staunend an.
»Wenn du und ich ein Kind bekämen, hätte es bestimmt blaue Augen«, sagte er versonnen vor sich hin, als spräche er mit sich selbst.
Ich zuckte zusammen. Ich traute meinen Ohren kaum! Wollte er etwa mit mir flirten?
Ich spürte eine Welle der Wut in mir aufsteigen. Da hatte ich ihn für so unschuldig und nett gehalten. Einen reizenden jungen Mann.
Eine Unverschämtheit war das! Nicht nur war ich alt genug, seine Mutter zu sein, jedenfalls fast – er war auch mit meiner Schwester hier
Weitere Kostenlose Bücher