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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Buches.» Er hielt einen Koran hoch.
    Dem Entdeckungsreisenden wurde schwindlig. Er stand nur mit Mühe gerade. «Gebt mir ’n Fußball», sagte er und fiel ins Englische, «dann zeig ich euch, wer hier weiß ist.»
    Dieser Ausbruch schien die Fragesteller für kurze Zeit zu verwirren, und sie starrten ihn mit erneutem Interesse an. «Was redet er da?» Dann aber knurrte der erste
slati
: «Bah, das ist bloß ein Mauren-Paria, der auf dem letzten Loch pfeift, und jetzt will er uns hier etwas vormachen, weil er hofft, daß wir ihm Almosen geben.»
    «Ganz einfach ein Verrückter ist das», sagte sein Kumpan. «Verrückt wie eine Hyäne. Seht euch doch seine Lumpen an – und dann diesen Hut!»
    Karfa Taura hob beschwichtigend die Hand. «Suleiman», sagte er zu dem Mann mit dem Koran, «gib ihm dein Buch.»
    Suleiman gab dem Entdeckungsreisenden das Buch.
    «Kannst du den Koran lesen?» fragte Taura.
    Mungo bemühte sich, versuchte verzweifelt, sich an
Ouzels Grammatik
zu erinnern und daran, was diese rätselhaften Punkte und Bögen mit Buchstaben und Worten zu tun hatten. Nachdem er das Buch eine Weile angestarrt hatte, hob er den Kopf und murmelte: «Nein, das kann ich nicht lesen.»
    «Unwissender!» rief der erste
slati
.
    «Kaffer!» stieß ein anderer hervor.
    Taura flüsterte seinem Diener etwas zu, und der Mann verschwand, um im nächsten Moment mit einem zweiten Buch in der Hand zurückzukehren. Als der Diener es dem Entdeckungsreisenden reichte, gurrte Tauras Stimme gelassen und geduldig durch die prickelnde Stille: «Aber vielleicht kannst du das da lesen?»
    Der Ledereinband war mit Schimmelflecken übersät, im Staub des Deckels prangten Fingerabdrücke. Der Entdeckungsreisende öffnete das Buch und versuchte, sich auf die schwarzen Lettern zu konzentrieren, die wie Sonnenflecken vor seinen Augen waberten. Er konnte nicht mehr scharf sehen. Die
slatis
schrien ihm Beleidigungen zu. «Kannst du’s lesen oder nicht?» fragte Taura.
    Dann auf einmal wurden die Buchstaben scharf, und er begann vorzulesen, so flüssig, als säße er am Frühstückstisch und hätte die Wochenendbeilage vor sich ausgebreitet liegen:
     
    Hierin, Ihr braven Christen, lege ich Euch die Gebete für die Heilige Katholische Kirche Christi vor, die gesegnete Gemeinschaft aller gottesfürchtigen   …
     
    Es war ein anglikanisches Gebetbuch.
    «Niyazi», befahl Taura seinem Diener, «kehr die hintere Hütte für den weißen Mann aus.»
     
    Als sich der Entdeckungsreisende zum nächstenmal seiner Umwelt voll bewußt wurde, war es November, und der sengende Harmattan hatte von der Wüste her zu wehen begonnen. In der Zwischenzeit hatte er sich schwitzend und halluzinierend auf dem Strohsack in der Hütte hin und her gewälzt. Karfa Taura hatte ihn durch die schwerste Zeit gebracht, ihm Hühnerbrühe und heiße Milch mit Knoblauch eingeflößt, den Körper mit Heilkräutern eingerieben, ihn zur Ader gelassen. In einem seiner lichteren Momente hatte Mungo Taura den Gegenwert eines erstklassigen Sklaven zum Dank versprochen, zu entrichten beim Erreichen von Dr.   Laidleys Faktorei in Pisania. Taura erschien das ein recht günstiger Handel, denn er hätte den Entdeckungsreisenden sowieso gepflegt, so fasziniert war er von diesem fremdartigen, legendären Wesen, das von Tag zu Tag blonderes Haar und weißere Haut bekam.
    Eines Abends, als man an Tauras Eßtisch eine Schale Kuskus und Kichererbsenbrei teilte, brachte der Entdeckungsreisende das Thema des Sklavenzuges aufs Tapet: Wann wollte Taura zum Gambia aufbrechen? Draußen brachen die Grillen plötzlich ihr Gezirpe ab. Unzählige Gesichter wandten sich erst Mungo, dann Taura zu, der am Kopfende der als Tisch fungierenden Matte saß. (Es waren jetzt noch wesentlich mehr
slatis
anwesend, die für ihre laufenden Kosten zum Großteil auf Taura angewiesen waren – sie würden ihn bezahlen, sobald sie ihre Sklaven in Medina verkauft hatten.) Taura lächelte den Entdeckungsreisenden an wie einen Sechsjährigen, der gerade gefragt hatte, warum die Sterne nicht vom Himmel herabfallen. «Nun, mein Freund», begann er, «das will ich dir sagen: Von hier nach Dindiku jenseits der Jallonka-Wildnis sind sechs Flüsse zu überqueren, die jetzt Hochwasser führen. Dazwischen gibt es Meere aus Gras, höher als dein Kopf. Wenn wir noch einen Monat oder so warten – bis Ende Dezember oder Anfang Januar   –, sind die Flüsse abgeschwollen,und die Bauern haben das meiste Gras heruntergebrannt. Ich

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