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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Krankheit, das Blut macht ihr die Beine nicht mehr warm.»
    Neali. Der Entdeckungsreisende blickte zu ihr hinunter. Wo hatte er diesen Namen bloß schon gehört?
    «Wirst du sie jetzt fressen?» krächzte die Stimme des Mannes.
    «Sie fressen? Was meinst du damit?»
    Die Lippen des Mannes waren aufgerissen. Die Haut anseinem Adamsapfel war vom Strick ganz durchgescheuert.
«Maddummulo»
, sagte er. «Der schwarze Mann läßt seinen Sklaven arbeiten, aber der weiße Mann frißt ihn auf.»
    Mungo war erstaunt über diesen Irrtum und auch beleidigt über die Anschuldigung. «Blödsinn.»
    «Es kommt aber niemals einer zurück.»
    «Naja, das liegt daran, daß sie euch mit einem Schiff in ein anderes Land bringen, in ein Land wie dieses hier, wo ihr auf den Feldern arbeitet und   –»
    «Tobaubo fonnio»
, meinte der Sklave dazu, «eine Weißen-Lüge.» Seine Stimme war matt. «Es gibt kein anderes Land. Sie bringen einen dahin, wo das Wasser nie mehr endet und hacken einen dann in Stücke. Die ganze Nacht lang lodern dort die Feuer und brodeln die Kessel. Bis auf die Knochen wird man abgenagt.»
     
    Am Morgen verweigerte Neali die Nahrung. Es war kalt und grau, eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang. Flinke, behaarte Wesen huschten durchs Unterholz, Vögel tschilpten, ein Brodem der Stagnation säuerte die Luft. Karfa Taura intonierte eine allgemein gehaltene Segnung, danach bekam jeder eine Tasse mit wäßriger Schleimsuppe. Neali setzte sich unter Schmerzen auf, nahm die Tasse von Suleimans Domestiken entgegen und schleuderte sie ihm dann ins Gesicht. Als Madi Konko daraufhin mit der Gerte auf sie einschlug, rollte sie auf dem Boden herum und begann zu erbrechen. Jemand fluchte, sie habe Lehm gefressen. «Lehm gefressen?» fragte der Entdeckungsreisende.
    «Sie möchte sterben», sagte der an sie gekettete Mann.
    Nach den Morgengebeten sammelte sich die Karawane von neuem. Neali wollte nicht aufstehen, und Suleiman sah sich gezwungen, seine geflochtene Peitsche zu entrollen. Neali lag mit dem Gesicht nach unten im Staub; geduldig ertrug sie die ersten paar Hiebe, dann stand sie unsicher aufund setzte sich in Marsch. Es war sofort klar, daß irgend etwas mit ihr nicht stimmte: Sie torkelte nach vorn und wankte wieder rückwärts, als zerrte eine unsichtbare Kraft sie auseinander. Suleiman befahl einem seiner Männer, sie aus dem Haltestrick zu schneiden und ihr ihre Last abzunehmen. Der
slati
ging nun höchstpersönlich hinter ihr her und stieß ihr dann und wann das stumpfe Ende seines Speers in die Seite.
    Kurz vor Mittag gab es eine kleinere Katastrophe. Einer der Sänger tappte aus Ungeschick in einen Stock der bösartigen, äußerst reizbaren westafrikanischen Wildbienen   – Mörderbienen nannten die Einheimischen sie. Im Laufe der Jahrtausende hatten diese Insekten ein rasches, wirksames und erbarmungsloses Mittel entwickelt, um mit den Honigdachsen und den hominiden Leckermäulern fertig zu werden, die ihre Behausungen heimsuchten: Schon auf die geringste Provokation hin schwärmten sie massenhaft aus und stachen den Angreifer zu Tode. Jede Biene war darauf programmiert, beim Freiwerden eines chemischen Alarmstoffs, der sie gleichzeitig zu ihrem Opfer hinlenkte, in suizidaler Stechwut loszufliegen. Wer im Umkreis von hundert Metern einmal gestochen wurde, mußte damit rechnen, im Laufe einer knappen Minute unter einer tosenden Insektenwoge begraben zu sein. Es erübrigt sich zu sagen, daß die Mehrzahl solcher Zusammentreffen daher verhängnisvoll endete.
    Bei Geo, dem Sänger, ging es glimpflicher aus, als es hätte sein können. Gleich der erste Stich veranlaßte ihn, seine Flöte fallen zu lassen und sich kopfüber in den Morast neben dem Pfad zu hechten, wo er sich wie ein Amphibienwesen in den Schlamm eingrub. Ein paar seiner Gefährten mit rascher Auffassungsgabe taten es ihm nach, während alle übrigen – Freie, Sklaven und
slatis
gleichermaßen – die Beine in die Hand nahmen. Da die Bienen durch das Verschwinden ihres Primärziels leicht verwirrtwaren, splitterten sie ihre Kräfte zur Verfolgung von zweiundsiebzig Sekundärzielen auf. Strategisch war dies ein Fehler. Wie sich nachher zeigte, hatte keiner mehr als zwanzig Stiche abbekommen, und manche – darunter der Entdeckungsreisende – blieben sogar ungeschoren. Beim neuerlichen Sammeln stellte man jedoch fest, daß Neali fehlte. Sofort zogen die
slatis
die Eisen hervor und fesselten die Sklaven aneinander, während bewaffnete Wächter

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