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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Kehle.
    Quiddle vertritt die Ansicht, der Larynx sei gequetscht, während Delp darauf beharrt, es gebe keinerlei Anzeichen für physische Schäden. Nach sorgfältigster Untersuchung von Neds Stimmapparat erklärt sich Abernathy gezwungenermaßen einer Meinung mit Delp, gibt aber zu bedenken, das Problem könne durchaus seelische statt körperliche Ursachen haben. Um diese Diagnose zu bekräftigen, zitiert er den Fall der Lucy Minor, die vor mehreren Jahren in die Unfallklinik eingeliefert worden war, nachdem ein betrunkener Kutscher sie angefahren hatte. Die Pferde warenüber sie hinweggetrampelt; sie war gestürzt. Als sie unter der Kutsche hervorkam, rannten Passanten zu Hilfe und stellten verblüfft fest, daß sie unverletzt geblieben war – wie ein Wunder hatten sie die wirbelnden Hufe und die mahlenden Wagenräder verfehlt. Man half ihr auf, jemand bürstete ihr Kleid ab, sie bekam ein Glas Brandy zu trinken – doch als sie den Leuten danken wollte, die sie so versorgt hatten, merkte sie, daß sie nicht sprechen konnte. Die Ärzte standen vor einem Rätsel. Abernathy selbst hatte jedes erdenkliche Heilmittel probiert – von Blutegeln über heiße Essigwickel bis zu dicken Halsbandagen. Er ließ sie zur Ader, bis sie kalkweiß im Gesicht war. Ohne Erfolg. Heute, zwölf Jahre danach, widmet Lucy Minor sich größtenteils der karitativen Arbeit mit Taubstummen. Während der gesamten Zeit ist kein Laut über ihre Lippen gekommen.
    Dr.   Maitland, der seit fast einem halben Jahrhundert im St.   Bartholomew’s praktiziert, gibt Abernathy zwar recht. weist aber auf einen eklatanten Unterschied der beiden Fälle hin: die zusammengeschnürte Kehle. «Der ist ganz einfach blockiert», beharrt er, «ist doch klar wie Quellwasser. Der Mann braucht Abführmittel, sonst gar nichts. Verpaßt ihm eine ordentliche Dosis Rizinusöl, laßt ihn zweimal zur Ader und gebt dann noch einen Einlauf mit Brechweinstein und rotem Fingerhut.» Sein Kollege Runder, ein strikter Brownianer, hat eine andere Theorie. «Es handelt sich doch eindeutig um eine asthenische Störung – verabreicht dem Kerl Alkohol, dann plappert er in einer Woche wie ein Kakadu.» Delp ist nicht einverstanden. «Das ist ein Simulant, sag ich euch. Ich würde sagen, wir führen ihn den anderen Patienten noch eine Weile vor und werfen ihn dann raus. Oder noch besser, wir schicken ihn wieder zum Henker.» Letztendlich und nach einer zehrenden Debatte, die sich über zwei Stunden, drei Rinderrippenstücke, acht Kapaune, einen halben Laib Käse und fünfzehn FlaschenPortwein hinzieht. beschließt man, Ned Rises Aufenthalt von ursprünglich einer Woche auf zwei zu verlängern und Abernathy mit Mrs.   Minor Kontakt aufnehmen zu lassen, damit diese den Patienten in der Verständigung mittels Zeichensprache unterrichte. Nach den zwei Wochen will man den Patienten dann aus dem Krankenhaus entfernen.
    Neds Reaktion auf all dies ist von elementarer Einfachheit. Er schläft in Quiddles Bett, ißt Quiddles Speisen, trinkt Quiddles Laudanum. Maitlands Rizinusöl gießt er ins Klosett, schlürft genüßlich Runders Alkohol, verbringt zwei Stunden am Tag damit, vor der ernsten Mrs.   Minor mit den Fingern herumzufuchteln, und vermeidet tunlichst ein Zusammentreffen mit Delp. Weiterhin durchwandert er die Krankenhausgänge mit betrübtem Blick, kunstvoll drapierter Frisur und versiegelten Lippen. Von allen Theorien, die zur Erklärung seines Leidens aufkamen, pflichtet er insgeheim nur einer bei: der von Dr.   Delp.
    O ja, heiser war er schon, ein paar Tage lang – wer wäre das nicht? Grinsend lag er im Dunkeln, ließ Wörter wie Lötzinn von der Zunge tropfen, während er das Wunder seiner Auferstehung und den fieberhaften, ekstatischen Bericht einübte, den er Fanny davon geben würde. Persönlich. Die Stufen von Brooks’ Haus würde er emporschreiten, den verdutzten Butler beiseiteschieben und in den Salon stürmen, um den Hals einen aufgefaserten Henkerstrick. «Aus dem Grab bin ich gekommen, meine Rache zu vollziehen, du perverses Schwein!» würde er brüllen und Brooks mit einem einzigen Hieb in die Knie zwingen. Dann Fanny in die Arme nehmen, ihr zuflüstern, sie möge keine Angst haben, und ihr die ganze Geschichte enthüllen. Brooks würde tief gerührt sein, ihnen einen Wechsel ausstellen, eine Kutsche rufen lassen, und sie wären auf und davon. Oder so ähnlich.
    Einstweilen aber hält sich Ned bedeckt. Leckt seine Wunden, kommt zu Kräften und versucht, das

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