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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Kaminfeuer. Doch zurück an die Arbeit: Behutsam und zögernd, als lägen tausend Augen auf ihm, erhebt er sich und fährt gleich wieder vor Schreck zusammen, als ihm ein Spaten in die Hand gedrückt wird. «Hör auf mit den Faxen und laß uns endlich anfangen», schnarrt Quiddle, und dann sind sie unterwegs. Ned konzentriert sich auf den vagen Fleck der Glatze auf Quiddles Hinterkopf, während sie sich einen Pfad zwischen fahlen Grabsteinen und düsteren Monumenten, gekreuzigten Christusstatuen und Todesengeln mit ausgebreiteten Flügeln bahnen.
    «Horace», wispert Ned, «das ist doch lächerlich. Es ist leichenschänderisch, unchristlich, gegen alle Gesetze Gottes und der Menschen. Könnten wir nicht Delp erzählen, daß wir uns verirrt und die Stelle gar nicht gefunden haben?»
    Der kahle Fleck bewegt sich weiter, senkt sich hier, hebt sich dort. Quiddles einzige Antwort ist eine Art Kichern, so leise und kehlig, daß eine Hyäne davon Angst bekäme. Dann bleiben sie plötzlich stehen, Quiddle scheint zu knien und in der halb gefrorenen Erde zu scharren. «Hier ist es», sagt er. Die Stimme ringt mit der Nervosität, und sein Flüsterton zeigt deutlich die Neigung, ins Falsett umzuschlagen. «Mach möglichst nicht allzu viel Krach beim Graben.»
    Ned versucht es. Vorsichtig schiebt er den Spaten in den schwarzen See zu seinen Füßen, fühlt nach weicher Erde. Quiddle steht neben ihm und schaufelt emsig – Ned hört dasZischen und Knirschen seines Spatens und das beschleunigte Pfft-pfft-pfft seines Atems. Lange Zeit arbeiten sie wortlos vor sich hin, graben immer tiefer nach ihrer Beute, wobei Quiddle ab und zu niederkniet und ein Streichholz entflammt, um ihr Vorankommen zu prüfen. Endlich trifft Neds Spaten mit dumpfem Krachen auf etwas Festes. «Da wären wir», sagt Quiddle leise und gräbt jetzt noch schneller, fährt mit der Schaufelkante den Sarg entlang.
    Ned hat aufgehört zu graben. Beim ersten Kontakt von Metall auf Holz ist sein Körper von einem unwillkürlichen Schauer galvanisiert worden, als wäre der Spatenstiel ein Blitzableiter und die rohe Schalung des Sargs elektrisch aufgeladen. Er steht einfach da und starrt vor sich hin, in seinen Schläfen pocht es, die Kehle ist trocken, er hört, wie Quiddles Messer den Sargdeckel aufbricht, und er denkt: Was kommt jetzt? Was kommt jetzt? und wartet mit stummem Ekel darauf, daß sein Gefährte das nächste Streichholz anzündet. Er sieht sie schon vor sich, den vergifteten Ehemann, die erstickten Kinder, die verstümmelte Frau, die sich in ihrem blutigen Leichentuch aufsetzt und ein wildes, verzweifeltes Lachen hinauskreischt.
    Aber halt: Was hört er da? Ein Rascheln in den Büschen am Fuß der Mauer? Gedämpfte Schritte? Wandern da Tote umher? «Horace, was war das?»
    Quiddle stemmt gerade schwer atmend den Deckel auf, das Holz splittert unter stöhnendem Protest:
Iiiih
. «Was war was?»
    «Das Geräusch eben. Da hinten.»
    Quiddle hält inne, der Glatzenfleck steht reglos in der Finsternis. Tiefstes Schweigen senkt sich über den Friedhof. Keine Bewegung. Es ist so still und dunkel und trostlos wie auf der Rückseite des Mondes. «Jetzt hör mal zu», sagt Quiddle endlich, «wenn du so weitermachst, werden wir noch beide verrückt. Also komm runter und pack mal bei dem Kadaver hier mit an!»
    Ned läßt den Spaten klappernd fallen und kniet vor der Grube nieder, tastet zaghaft umher, hält den Atem an, falls es stinkt, und sein ganzer Körper sträubt sich gegen das Unternehmen. Quiddle hat die Leiche aufgestellt, sie ist steif wie ein Brett, und versucht sie angestrengt zu Ned hinaufzuschieben, als urplötzlich eine gewaltige Last von hinten auf Ned herabkracht und ihn mit dem Gesicht voran in den Sarg schleudert. Quiddle geht zu Boden, die Leiche stürzt um, Ned schreit auf, und das Wesen in seinem Rücken – es ist warm und mit Armen und Beinen ausgestattet – grunzt wie ein wühlendes Schwein. Und dann scheint ihnen auf einmal grelles Licht ins Gesicht, und eine Stimme bellt: «Recht so, Quiddle, grab nur schön weiter. Da spar ich mir die Mühe.»
    Dirk Crump steht über der Grube, in der einen Hand die Laterne, in der anderen eine Pistole. Sein Komplize hockt auf Ned, Ned hockt auf Quiddle, und Quiddle ist mit dem Kadaver in die Ecke gezwängt. Wie aus Protest streckt die Leiche ihre Hand aus dem Grabtuch, die schartigen Schnittwunden quer über dem Gelenk, das Fleisch grau verfärbt, die Nägel zerschunden. «Gut gemacht, Billy, ganze

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