Wassermusik
Kummer und Gram heiserer Stimme den Namen des jungen Osprey. Er stellte sich als Diener des verstorbenen Osprey senior vor und führte den jungen Erben zu einer weiter vorn wartenden Kutsche. In der Kutsche saßen Ned und Quiddle wie zwei Spinnen, denen gleich eine fette Beute ins Netz geht, und hielten diverse Stricke und Streifen fester Baumwolle bereit. Osprey hatte keine Chance.
«Weißt du», sagt die Cousine schluchzend, «ich hab dich sofort erkannt, als du durch die Tür gekommen bist.»
Ned stößt ein paar wimmernde Klagelaute aus, schneuzt sich dann und sieht sie bekümmert an. «Ach? Wieso denn?»
«Du … du …» Hier fällt sie ihm wieder in die Arme und japst wie ein ertrinkender Hund. «Du siehst ihm so ähnlich.»
Der Rest ist ein Kinderspiel. Ein paar schwergewichtige Tanten, krampfgeschüttelte Onkel, säuerlich dreinblickende Schwippschwäger, Cousinen dritten Grades, ein mißtrauisches altes Kindermädchen. Keine Witwe, Gott sei Dank. (Ned ist nicht ganz sicher, glaubt sich aber zu erinnern, vor knapp zwei Jahren eine Mrs. Tillie Marsh Osprey aus einem Friedhof im West End abgeschleppt zu haben.) Inzwischen fallen ringsherum Beileidsbezeugungen wie einstürzende Ziegelhäuser bei einem Erdbeben. Jemand bringt einen Toast aus. Und dann noch einen. Wieder Tränen und Schulterklopfen, der Gestank von Parfum und Alkohol, ein Kuß, eine Umarmung, und dann sind sie vor dem Haus, in schwarze Capes gehüllt, lange Fackeln in der Hand, und schreiten gemessenen Schrittes hinter dem schweren, von Pferden gezogenen Leichenwagen her. Über das Kopfsteinpflaster die Straße entlang, um eine Ecke und auf den Friedhof. Die glitzernden Wieselaugen des Pfaffen, Staub zu Staub. Und dann wirft sich Ned über den Sarg, beißt den Totengräbern ins Bein, untröstlich ist er, wehrt im puren, verbissenen Herauslassen seines Grams das ganze Heer der Tröster und Mitfühlenden ab. Er jammert, er winselt, er ist besser als Hamlet. Endlich bittet er sie tränenüberströmt, ihn allein zu lassen in seinem Kummer und dem brennenden Drang, seinen Vater, diesen großartigen, edlen Mann, mit den eigenen treusorgenden Händen zu begraben.
Zehn Minuten später fährt der blitzende Zweispänneran dem verlassen daliegenden Friedhof vor, Quiddle auf dem Kutschbock. Eine schmale, plattköpfige Gestalt huscht heraus und gesellt sich zu Ned vor dem Grab. Es entsteht Bewegung in der Dunkelheit, man hört ein Grunzen oder Stöhnen, den kurzen Hinweis auf ruchlose Aktivitäten. Dann fährt die Kutsche davon, und die letzte Fackel erlischt auf dem Friedhof.
WENN WO WAS AUFGEHT, MUSS HEFE DRIN SEIN
Als die Morgendämmerung ihre rosigen Finger auf die Dächer Londons legt, stolpert eine kleine Schwefelholzverkäuferin mit Hasenscharte über den sich windenden Claude M. Osprey jun. Methodisch und zentimeterweise arbeitet sich der Erbe des Ospreyschen Vermögens, an Händen und Füßen gefesselt, eine rußgeschwärzte Gasse entlang, wobei er einen kleinen Wall Schutt vor sich herschiebt. Sein Gesicht ist von einem Gittermuster haarfeiner Kratzer überzogen, in den Mund hat man ihm eine schmutzige Krawatte gestopft. «Hmmmmff», sagt er. «Hmmmmmmlff!» Das Mädchen legt den Kopf schief und sieht ihn wachsam an, wie ein Terrier, der auf das Schnalzen des Herrchens horcht. Dann bückt sie sich und durchwühlt seine Taschen. Eine halbe Stunde später kommt ein Fleischerlehrling des Weges, reagiert erst mit Spätzündung und schlurft dann herbei, um den jungen Erben ungläubig zu betrachten, als stelle das Auftauchen eines gefesselten und geknebelten Mannes in einer Seitengasse für ihn ein Dilemma von aristotelischer Größenordnung dar. Über dem Knebel weiten sich Ospreys Augen in Wut und Gereiztheit. Dem Jungen fällt die Kinnlade herab. Er rennt ein Stück davon, senkt dann den Kopf, dreht sich um und kommt wieder zurück. Endlich hockt er sich nieder und entfernt behutsam die Krawatte aus Ospreys Rachen.
Der Gefesselte bewegt den Kiefer, als wäre der ein neu erschaffener Teil seiner Anatomie. «Binde mich los!» verlangt er.
Der Junge läßt die Krawatte in der Hosentasche verschwinden. Er bohrt sich ein Stück Schmalz aus dem Ohr und untersucht es versonnen auf der Spitze seines schwarzgeränderten Fingernagels. «Was krieg ich’n dafür?»
«Eine halbe Crown.»
«Sagen wir, eine ganze, dann kommen wir ins Geschäft.»
«Also gut, eine Crown. Jetzt mach mich schon los!»
«Ich will aber zwei
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