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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Schatten, die übers Feld greifen wie Finger, sich ausstrecken, als gäben sie ihren Mann und ihren Bruder nur widerwillig frei. Einen Moment lang verliert sie die beiden aus den Augen, aber da – der Schimmer von Mungos Haar, als er zur Sonne hinaufschaut, sein vertrauter, weit ausgreifender Gang, mit dem Zander mühsam Schritt hält. Kurz darauf kommen sie den Fahrweg entlang.
    «Hallo», ruft sie ihnen zu.
    Sie winken zurück.
    «Durstig?»
    «O ja.»
    Als sie vor der Veranda ankommen, hat sie ihnen zwei Krüge Bier hingestellt. Mit der gewandten, animalischen Grazie von Männern, die soeben eine großartige Leistung vollbracht haben, lassen sie sich auf den Holzstühlen nieder. Zanders Kragen ist völlig durchgeschwitzt. Auf der Nase hat er einen Sonnenbrand.
    «Na, wo seid ihr heute gewesen?»
    «Draußen beim Ancrum-Moor», erwidert Zander.
    «Ancrum-Moor? Das müssen ja vierzehn Meilen hin und zurück sein.»
    «Siebzehn.»
    «Und den ganzen Weg über habt ihr bestimmt von nichts anderem als Krokodilen und Mandingos geredet, was?»
    Zander grinst. Das Baby, das vor der Tür im Schlammspielt, quietscht in kleinkindlichem Entzücken, und Mungo dreht sich mit sonderbar abwesender Miene zu seinem Sohn um, als kenne er ihn gar nicht. Thomas starrt seinen Vater mit großen Augen an und steckt sich dann einen Modderklumpen in den Mund. Auf seinem Kinn glänzt ein Strom von Dreck und Spucke.
    Es entsteht ein kurzes Schweigen, die Männer konzentrieren sich auf das Bier. Ailie nimmt ihre Strickerei wieder auf. «Mein Vater ist heute dagewesen», sagt sie.
    Keine Reaktion.
    «Er hat von einer freien Praxis in Peebles erzählt. Eine Arztpraxis – mit einem schönen alten Haus dabei. Was meinst du?»
    Mungo hebt den Blick von seinem Bier. «Peebles? Aber das ist ja ein ganzer Tagesritt von hier.»
    «Ja, es würde heißen, unsere Familie und unsere Freunde zu verlassen. Aber wir können doch nicht ewig hier rumsitzen – und warten. Oder?»
    Zander hat das ganze Leben lang gewartet. Er setzt den Krug ab. «Warum denn nicht? Ist doch besser, auf die Chance für ein neues Abenteuer zu warten, als so ein ödes Leben als Landarzt zu führen. Sieh doch, was es aus unsrem Alten gemacht hat.»
    Mungo wirft ihr einen traurigen Blick zu. «Also, ich weiß nicht», sagt er.
    Plötzlich lacht Zander laut auf. «Wie geht doch gleich der Spruch über Peebles?»
    «Was meinst du?»
    «Du weißt doch, was der alte Ferguson immer gesagt hat   …»
    Das Gesicht des Entdeckungsreisenden leuchtet auf. «Ja, ja – ich weiß schon. ‹Es war ’ne mächtich stille Nacht›, hat er immer gesagt, ‹still wie auf’m Friedhof – oder in Peebles.›»

GESCHÄFT AM GRABESRAND
    Die Trauerwache rechts und links der Treppe besteht aus Profis in schwarzen Anzügen mit Trauerflor, die den Blick feierlich zu Boden senken oder mit zutiefst kummervollem, betrübtem Ausdruck ins Leere starren. In reglos militärischer Haltung trägt jeder eine lange, auf Halbmast geflaggte Fahnenstange aus Ebenholz, deren mit schwarzen Troddeln verzierte Spitzen sich über den Stufen wie Schwerter kreuzen. Ein dünner, trister Nieselregen perlt über die Zylinderhüte und die breiten Backenbärte. Geduldig, professionell warten sie darauf, daß der Leichenzug sich in Bewegung setzt, wonach sie genüßlich über die Reste des Totenmahls herfallen und sich sinnlos betrinken werden. Der Zug ist für neun Uhr abends angesetzt.
    Den ganzen Nachmittag über sind ständig neue Kutschen vorgefahren, denen Grüppchen von Männern mit starrer Miene, schmerzgeschüttelten Frauen und schluchzenden Kindern entstiegen. In der Mehrzahl Verwandte, die sich ihre Erbschaft verdienen. Jetzt sind sie alle weinend und wehklagend im Haus versammelt. Um Viertel nach acht kommt ein blitzblanker Zweispänner zackig vor dem Tor zum Stillstand, ein Herr in Schwarz stößt selbst den Schlag auf und springt auf die Straße hinaus, viel zu gramgebeugt, um sich lange mit Formalitäten aufzuhalten. Im nächsten Moment steht er vor der Tür, noch ganz außer Atem, das Haar tadellos gekämmt, das Gesicht tränenüberströmt.
    Der Herr ist Ned Rise. Gekleidet in einen Anzug aus schwarzem Genuasamt, Handschuhe und Trauerflor mit Druckerschwärze gefärbt, sogar die Schuhsohlen hat er für diesen Anlaß schwarz angestrichen. In der Tasche hat er ein schwarzes Seidentüchlein, das mit Essig getränkt ist. Er preßt es sich ins Gesicht, bevor er nun das Haus betritt.
    Ein trübsinniger alter Mann mit

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