Wassermusik
irgendwo hinter den aufsteigenden Dampfschichten, ahmen die Turteltauben eine Flöte nach, die in der unteren Lage hängengeblieben ist.
Es ist der 2. Februar, der Jahrestag ihrer Verlobung mit Mungo Park. Ailie Anderson feiert das Jubiläum mit einem Bad – seltener Luxus in diesen knappen Zeiten. Sie huscht durchs Zimmer, legt sich alles zurecht, summt dabei undfacht hin und wieder mit dem Blasebalg das Feuer neu an. «Dr. Philbys Grüne Seife» liegt auf dem Tisch bereit, daneben ihr Kamm und die Schildpattbürste; mit den Fingerspitzen hält sie ein «Bain des Fleurs». Luxus oder nicht, sie wird heute ihr Bad nehmen. Sie wird sich in der dunsterfüllten Küche zurücklehnen, umgeben von ihrer Menagerie und den Tönen und Düften der Natur, und von Mungo träumen, wie er sich durch die tropfenden Dschungel des Schwarzen Kontinents kämpft. Ihr Vater erlaubt ihr nur ein Bad pro Monat. «Ich brauch das Hartholz und die Kohlen noch», sagt er. Piepegal. Sie wird heute baden und bis zum März eben stinken. Schließlich geht es hier nicht einfach um Scheuern und Schrubben, es dient der rituellen Reinigung.
Ailie ist zweiundzwanzig und geduldig wie Penelope. Sie war vierzehn, als sie Mungo Park kennenlernte. Er war als Famulus ihres Vaters bei ihnen eingezogen. Vor acht Jahren. Als er auf die Universität ging, bat er sie, auf ihn zu warten. Die Bäume verloren gerade ihr Laub. Sie weinte vor Freude und Verwirrung. Nach zwei Jahren Edinburgh küßte er ihr die Stirn und heuerte als Schiffsarzt auf einem Gewürzfrachter nach Djakarta an. Sie wartete. Als er zurückkehrte, war er mürrisch und ruhelos. Sie hätten eigentlich heiraten sollen. Doch dann kam, wie aus dem Nichts, ein Brief von Mungos Schwager aus London. Ob er den Auftrag der Afrika-Gesellschaft annehmen wolle, eine Forschungsreise durch Westafrika zu unternehmen, deren Ziel die Entdeckung des Niger sei? Die Antwort konnte sie ihm von den Augen ablesen. Zwei Wochen später hatte er seine Taschen gepackt und stand an der Tür der Kutsche nach London. «Ich werde mir einen Namen in der Welt machen, Ailie», sagte er. «Wartest du auf mich?»
Seitdem wartet sie.
Natürlich kann ihm kein Mann im Grenzgebiet von Südschottland das Wasser reichen. Ein Haufen Bauernlümmeloder Stutzer, die ungefähr soviel Abenteuerlust im Blut haben wie ein kranker Haushund. Zum Beispiel Gleg – der jetzige Famulus ihres Vaters –, der ist doch nur eine Kaulquappe gegen Mungo. Der würde das Abenteuer nicht mal erkennen, wenn es ihn bei seinen großen Segelohren packte und ordentlich zubisse. Ailie seufzt, stellt das Badeöl neben die Haarbürste und ruft dann zu ihrem Bruder hinaus: «Zander! Hilfst du mir mal die Wanne vorziehen?»
Alexander Anderson sitzt im Wohnzimmer, er starrt abwechselnd auf
Joan of Arc
von Robert Southey, das aufgeschlagen in seinem Schoß liegt, und hinaus auf die trägen Federflocken, die am Fenster vorbeitreiben. Er genießt das Unwetter und die Ruhe, ist dankbar für die Atempause zwischen dem Hin und Her der Medizin. Dankbar auch für Glegs Gegenwart. Seit dem letzten Frühling, als er mit der Universität fertig war, hat sein Vater ihn unentwegt auf Hausbesuche mitgeschleppt, ihm Knochenschienen und Skalpelle in die Hand gedrückt, ihm mal wütend, mal gutmütig zugeredet, sich endlich wie ein richtiger Landarzt zu benehmen. «Was ist bloß mit dir los, Jung», sagte der Alte dann mit dröhnender Stimme. «Willst du am Ende immer nur rumsitzen und dir den Rest deiner Tage den Allerwertesten blankscheuern, wie wenn du nichts wie’n Schaf auf der Weide wärst? Oder wann wirst du endlich gottesfürchtiges Werk tun nach all dem Müßiggang, wie sich’s gehört für einen Mann und für einen Anderson? Häh? Sprich laut, Jung – ich kann dich sonst nicht hören bei all dem Ärgern und Grübeln, das mir die Gehirnwindungen schon ganz zermartert hat.»
Aber Zander hegt keinerlei Wunsch, sich als Landarzt niederzulassen. Es ekelt ihn beim Geruch der Krankenzimmer, bei den schwarzblauen Lippen und dem stinkenden Atem. Ein Mann, von einem Pferdewagen überrollt, die Rippen ragen wie rosa Spieße aus seiner Brust; ein neugeborenes Mädchen hustet in der Nacht, Blut rinnt ihr ausdem Mund; Knochen brechen, Gefäße bersten, Herzen trifft der Schlag. Er will damit nichts zu tun haben. Die Sterblichkeit der Menschen ist ein Krebsgeschwür, eine eitrige Wunde – muß er ihr unbedingt zehnmal täglich ins Gesicht starren? Betrunkene Männer,
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