Wassermusik
auf den äußersten Rand des Stuhls, den Blick gesenkt, während Sir Joseph seinen Vorschlag erläuterte.
Mr. Park, so erklärte Sir Joseph, war gegenwärtig zum zweitenmal in zwei Monaten in London, um eine Expedition ins Nigerbecken zu organisieren. Man hätte in sechs Wochen aufbrechen wollen, wäre da nicht etwas Unvorhergesehenes passiert: Die Regierung von Mr. Addingtonwar gestürzt und der Kolonialminister, Lord Hobart, durch Lord Camden ersetzt worden. Der neue Minister hatte Sir Joseph mitgeteilt, die Regierung könne unmöglich vor September kommenden Jahres eine Expedition ausrüsten.
Mungo nippte während dieses Vortrags verdrießlich an seinem Rotwein. Er war enttäuscht, entmutigt, angewidert. Im Herbst nach jenem idyllischen Nachmittag am Yarrow hatte er zwei höllische Tage und Nächte mit dem Versuch verbracht, Ailie zu überzeugen, daß er keinerlei Absicht habe, sie zu verlassen. Sie klammerte sich an ihn und brüllte wie eine Wahnsinnige, drohte damit, sich zu ertränken, das Haus in Brand zu stecken, die Kinder im Schlaf zu erdrosseln. Er würde sie nicht noch einmal verlassen – sie würde es nicht zulassen. Eher wolle sie ihn vergiften. In seiner Not hatte er nachgegeben. «Also gut. Dann fahre ich kurz nach London, um Hobart zu sagen, daß er sich einen anderen suchen muß.» Sie küßte ihm die Hände. Sie hatten eine Liebesnacht wie Jungvermählte.
Er hatte gelogen. Gelogen, um Zeit zu schinden. In London sagte er Hobart: «Ich bin Ihr Mann. Geben Sie mir soviel Leute und Vorräte, wie ich brauche, dann bringe ich Ihnen eine Karte des Niger zurück, von der Quelle bis zur Mündung.» Hobart bat um zwei Monate für die Vorbereitungen, und der Entdeckungsreisende kehrte nach Peebles zurück, ruhelos, ungeduldig, schuldbewußt wie ein Meßjunge, der aus dem Opferstock geklaut hat. «Na, hast du’s ihm gesagt?» fragte Ailie.
Mungo blickte zur Seite. «Ja, aber … er hat mich gebeten, als technischer Ratgeber für die neue Expedition mitzuarbeiten, deren Leiter so ein … so ein junger Waliser ist, den Sir Joseph aufgetrieben hat.»
Das war im Oktober gewesen. Im Dezember kam wieder ein Ruf von Hobart, und der Entdeckungsreisende nahm die nächste Kutsche nach London. Er betrat das Kolonialministerium,umgehend zur Abreise bereit, im Geiste entwarf er schon einen Brief an Ailie:
Liebe Ailie, ich liebe und verehre Dich und die Kinder, doch die Pflicht für Vaterland und Gott muß noch vor meine heilige Pflicht gegenüber der Familie treten. Afrika wartet, das größte Abenteuer der Menschheit, und ich bin der einzige, der bisher lebend –
Hobarts Miene ließ ihn mitten im Satz stocken. «Ich habe leider schlechte Neuigkeiten, Mr. Park», begann der Minister.
«Sir?»
«Wir sind nicht mehr drin.»
Mungo starrte den alten Mann fragend an. «Nicht mehr drin?»
«Addington ist zurückgetreten.»
Und so saß er hier in Sir Josephs Arbeitszimmer und sah mürrisch aus dem Fenster, anstatt längst auf dem Schiff nach Goree zu sein. Weitere neun Monate. Er schien dazu verdammt zu sein, für immer sein Talent in Peebles zu verzetteln, ein überarbeiteter, unterbezahlter Dorfquacksalber. Lord Hobart oder Lord Camden, Addington oder Pitt – wo war da schon der Unterschied? Sie alle hatten immer nur Ausreden.
«Also», sagte Sir Joseph gerade, «ich bin bereit, Ihnen dreißig Pfund anzubieten, wenn Sie Mr. Park nach Peebles begleiten, um ihm dort zur Vorbereitung seiner bevorstehenden Forschungsreise Arabisch-Lektionen zu erteilen.»
Der Maure rollte die Augen, als hätte er eine Ohrfeige bekommen. «Dreißig Pfund Stärrling?» wiederholte er ungläubig. «Geben Sie mir?» Sir Joseph nickte, und Sidi warf sich wieder auf den Teppich.
«Ya galbi galbi!»
sang er.
«An’ am Allah ’alaik!»
Ailie steht in der Küche, werkelt an einer Krabbenpastete und kocht nebenbei Schnauze, Ohren, Wangen, Hirn und Füße eines frischgeschlachteten Schweins, als ein Geräuschim hinteren Hof sie zusammenfahren läßt. Es ist schon seit ein paar Minuten da, ein dumpfes Stampfen, doch sie war so mit Kochen beschäftigt, daß sie es nicht beachtet hat. Da ist es wieder. Verschwommen und gedämpft, der Ton von Holzhacken in weiter Ferne – oder von jemandem, der ein Pferd ums Haus herumführt. Dann kommt sie drauf: Mungo! Im Nu ist sie an der Tür, die Schürze mit weißem Mehl bestäubt, die Abendsonne tropft wie Butter über den Stall, sie sieht ihren Mann, die Pferdemähnen, den
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