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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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der gar kein Hut ist, sondern eine um den Kopf gewickelte Stoffbahn. Ganz zu schweigen von den rituellen Narben in seinem Gesicht, dem bis zur Hüfte reichenden Bart und dem Goldring, der seine Unterlippe auf schändlichste Barbarenart durchbohrt. Wenn man bedenkt, daß sich in Peebles seit achthundert Jahren nichts geändert hat, ist das plötzliche Auftauchen des Fremden alles in allem mindestens so außergewöhnlich wie die Geburt einer zweiköpfigen Ente oder das Sichten eines neuen Kometen am Nachthimmel.
    Sie reiten bei Sonnenuntergang in Peebles ein, Mungo und sein dunkler Gefährte, und die Spuren ihrer Unterhaltung hängen wie Rauch in der kühlen Luft. Die Bürger von Peebles – frühe Zubettgeher, ruhig, schon etwas schläfrig – beugen sich über ihre Herde, als die Pferde an den Fenstern vorbeiklappern, und die kräftigen Gerüche von Runkelrüben und Kartoffeln, gekochtem Rindfleisch und Hühnersuppe fordern ihnen vollste Konzentration ab. Dennoch preßt die Hälfte von ihnen das Gesicht an die Scheibe oder schleicht auf die Straße hinaus, bevor der Entdeckungsreisendesein Zuhause erreicht hat. Sie sind in Hemdsärmeln, Schürzen, Hausschuhen, manche sogar barfuß. Alle machen ein Gesicht, als hätten sie soeben eine Art Ungeheuer gesehen, ein Wunder der Natur, irgendein lebendes, sprechendes, hinterlistiges Trugbild, das sie weder akzeptieren noch einfach abtun können. «Haste auch gesehn, was ich gesehn hab?» ruft Angus M’Corkle seiner Nachbarin, Mrs.   Crimpie, zu.
    «Jo», sagt die und schüttelt langsam den Kopf, als hätte sie Korken in den Ohren, «und ich will vermaledeit sein, wenn das nich einer von die Heilige Drei Könige war, wo fürs Christfest extra hergekommen is.»
    «Nee, nee. Ganz klar, daß das nur so’n herumziehender Jude war   … oder vielleicht auch ’n chinesischer Mongole.»
    «Ali Baba», meint Festus Baillie, das Kinn wie ein Richter vorgeschoben. «Ali Baba selber isses.»
     
    Sidi Ambak Bubi ist weder Jude noch Mongole. Er ist kein Wunder der Natur, kein Ungeheuer und auch kein arabischer Sagenheld. Er ist ganz einfach ein Maure: bescheiden, unaufdringlich, ein wenig zu salbungsvoll. Ein Maure aus Mogador, aus gutem Hause und von Bildung, der ursprünglich als Dolmetscher im Dienst von Elphi Bey, dem Botschafter Ägyptens, nach London gekommen war. Doch als Elphi Bey urplötzlich verstarb, nachdem er ein ordentliches Stück Hammel in die falsche Kehle bekommen und sich zu einem tiefen Mitternachtsblau verfärbt hatte, war Sidi auf einmal arbeitslos. Es würde Monate dauern, bevor Kairo vom Tod des Botschafters erführe und für Ersatz sorgen könnte. Er begann, sich Sorgen zu machen. In diesem Moment trat Sir Joseph Banks auf den Plan. Ob Mr.   Bubi die Freundlichkeit hätte, einmal zum Soho Square Nr.   32 hinüberzukommen? Sir Joseph habe ihm einen Vorschlag zu machen.
    Als Sidi in die Bibliothek von Sir Josephs Stadthaus geführtwurde, standen ihm dort zwei Engländer gegenüber: der eine eher alt und vierschrötig, dessen Kieferform an eine Bulldogge denken ließ, der andere jung, blond und muskulös. Der ältere, vornehm und furchterregend wie ein Schlachtschiff, erwies sich als Sir Joseph Banks. Er streckte Sidi die Hand zur Begrüßung entgegen, bot ihm einen Stuhl und ein Glas Rotwein an (letzteres lehnte Sidi als frommer Moslem höflich ab). Dann stellte er ihm seinen Kameraden Mungo Park vor.
    Sidi errötete bis zu seinem Lippenring, als er den Namen des Entdeckungsreisenden hörte, erhob sich ungeschickt und warf sich vor Mungo zu Boden. «Oh, Mr.   Park, Sir, ich bewundärre Ihre Schriften särr», brachte er in dem hohen nasalen Singsang eines Muezzin beim Gebet hervor, «und ich billige Ihre Bemühungen, unser armes, rückständiges Land dem zivilisierenden Einfluß der Engländer zu öffnen, ja wirklich, wirklich.» Inzwischen waren sowohl Mungo wie Sir Joseph auf den Beinen und verlangten, der Maure solle sofort aufstehen und sich benehmen, doch hatte dieser offenbar noch nicht beendet, was er vorzubringen gedachte. Er blieb eine volle Minute liegen, die Nase im Teppich vergraben, bevor er sehr zögernd weitersprach. «Abärr, o Mr.   Park, Sir», murmelte er, «von ganzem Herzen bedaure ich auch die schändliche Behandlung, die Ihnen durch meine Glaubensgenossen in Ludamar widärrfahren ist. Es sind räudige Hunde.» Sichtlich zufrieden, das losgeworden zu sein, kroch der Maure auf Händen und Knien zu seinem Platz zurück und setzte sich

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