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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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plötzlich eine Bewegung hinten auf dem Strand. Ganz sicher ist er nicht, ein wabernder weißer Schleier verschluckt alle Farben und Konturen, aber es scheint eine Gestalt zu sein, die auf sie zukommt – zwei Gestalten. Er blinzelt, schirmt die Augen gegen die Sonne. Doch, zwei Menschen, ein großer und ein kleiner, die da in dieser wahnwitzigen Hitze an der Küste spazieren wie Muschelsammler am Strand von Brighton. Wer in aller Welt kann das sein? Auf einmal kennt er die Antwort.
    Im selben Moment hat Ned den Spaten in der Hand und wirft Erde auf wie ein Prospektor kurz vor der Hauptader. Besorgt läßt Boyles die Flasche los und kommt herbeigewackelt. «Neddy, was ’n los? ’n Anfall? Haste wieder ’n Anfall?» Ned läßt weder ab, noch sieht er zu ihm auf. Seine Stimme ist fest und hart wie eine gespannte Bogensehne: «Greif dir den Spaten, du Idiot, und fang an zu buddeln!Buddel um dein Leben!» Boyles nimmt verwirrt seinen Spaten und fängt an, Erde in das offene Loch zu schaufeln.
    Nach ein paar Minuten, das Werk ist fast vollbracht, blickt Boyles auf und bemerkt zu seiner Verblüffung zwei Fremde, die ihnen zusehen. Der eine ist klein, dunkelhaarig und schmächtig, beinahe weiblich gebaut; er lächelt und hat ein Grübchen auf dem Kinn. Der andere ist groß und weizenblond, steht kerzengrade, ein drei bis vier Tage alter rötlicher Stoppelbart überschattet seine Wangen – aber Moment mal. Ist das nicht –?
    Vor ihnen steht Mungo Park, in blitzblanken Stiefeln und Nankinghosen, in Weste und Hemdsärmeln, die pfirsichfarbene Jacke lässig über die Schulter geworfen. Sein Schwager neben ihm verlagert das Gewicht auf das hintere Bein, die Hände in die Hüften gestützt, aufgeputzt wie ein sorgenfreier Beau auf der Bond Street. «Aha», sagt der Entdeckungsreisende, «schön zu sehen, daß hier doch noch jemand die Kraft hat, sich ein wenig anzustrengen.» Seine Stimme ist herzlich wie ein Händedruck.
    Ned, der wie wild schaufelt, wirbelt scheinbar überrascht herum, nimmt zackig Haltung an und salutiert knapp. «Sir!» bellt er in einer so flüssigen, automatischen Reaktion, als wäre er ein dressierter Seehund und der Entdeckungsreisende der Mann mit dem Fisch in der Hand. Er gibt sich Mühe, dem Blick des Entdeckungsreisenden standzuhalten und die heiß/​kalten Schauer zu beherrschen, die seine Knie durchfahren und seine Ellenbogen zucken lassen. Dennoch ist er sichtlich überrascht, den Entdeckungsreisenden erstmals von nahem zu sehen. Er hatte einen älteren Mann erwartet – mindestens vierzig. Schließlich war der Bursche ja eine Berühmtheit, hatte Afrika bereist und war lebend zurückgekommen, hatte Bücher geschrieben, war mit der Crème de la crème auf du und du. Und doch konnte er nicht viel älter als Ned selber sein.
    Mungo schiebt sich eine Locke aus der Stirn, erschwitzt kaum, obwohl die Hitze wie ein Hammer ist. «Nur nicht so förmlich, mein Freund», sagt er, und Ned lockert sich. «Alexander und ich haben schon geglaubt, auf dieser Insel gebe es keinen, der je aus der Krankenstation rausgekommen ist.»
    «Nun ja, Sir», beginnt Ned, wobei er all seine Bildung zusammenkratzt, «der Herr hat uns eben mit Gesundheit gesegnet, und wir sehen uns verpflichtet, unser Möglichstes zu tun, es Ihm zu danken, indem wir dafür sorgen, daß all jene weniger Glücklichen wenigstens ein anständiges Begräbnis erhalten.»
    Mungo und Zander wechseln einen Blick wie zwei Männer beim Pferdehändler, denen gerade ein so lächerlich niedriger Preis genannt wurde, daß es ihnen in den Handflächen juckt.
    «Jawohl, Sir, Billy und ich sind jetzt seit drei Stunden dabei, diese vier Pechvögel zu beerdigen. Der Herr rief sie gestern zu sich – es war die Erregung über Eure Ankunft, Sir.»
    «Aha – ihr zwei wißt also, weswegen mein Schwager und ich nach Goree gekommen sind?»
    Boyles, der bisher mit offenem Mund herumgestanden hat, begreift allmählich. «Na klar tun wir das wissen», salbadert er, und ein dümmlich-triefendes Grinsen spaltet sein Gesicht in zwei Hälften. «Das is wegen die großartiche, glorreiche Expiddision, was Sie vorham, nich? Wo den Ruhm mehren tut vom Könich Georg und der Königin und all die stolze Mitbürger vons Gute Alte England, habbich recht?»
    Der Entdeckungsreisende hat schon den Hut abgenommen, um den im Futter verborgenen Notizblock hervorzuziehen. Er strahlt wie ein Held. «Demnach vermute ich», sagt er, den Stift über dem Papier gezückt, «daß ihr zwei

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