Wassermusik
echtem Schrot und Korn. Jeder Idiot konnte das sehen.
Mungo wirft einen Blick auf den Tumult am Ufer, als die
Crescent
ablegt. Die ganze Garnison hat Freudentränen in den Augen. Die Kapelle dröhnt, der Major schwenkt ein weißes Taschentuch, die Segel blähen sich im Wind. Mungo hebt die geballten Fäuste zum Gruß, ein ruhmvoller Augenblick, und die Brise packt das Schiff und läßt das Ufer zurückweichen.
Auf der Fahrt den Gambia aufwärts nach Pisania lehnt Ned Rise gemütlich an einer Kiste mit Tauschwaren, zündet sich eine Cigarette an und starrt hinaus auf die braunen Wellen des Flusses, die Vogelschwärme, die gewaltigen Krallen der Zypressen, die am Ufer paradieren wie geköpfte Sphinxe. Es geht ihm besser, von seinem Kampf mit der Ruhr erholt er sich bereits, er jubiliert über sein Glück und die Aussicht, innerhalb eines Jahres zurück in England zu sein. Den Entdeckungsreisenden findet er ganz in Ordnung. Ein bißchen schwülstig und zugeknöpft vielleicht, aber doch einer, mit dem man umgehen kann … ja, mit dem läßt sich ohne Frage umgehen. Ned schließt die Augen und stellt sich die Themse vor, klares, kerniges Blau im Sonnenschein, der Entdeckungsreisende neben ihm am Bugder
Crescent
, die Docks gerammelt voll mit begeisterten Menschen und leichten Mädchen, die Zukunft gesichert.
Ned
, sagt der Entdeckungsreisende, zu ihm gewandt,
du bist mir auf dieser Expedition von unschätzbarem Wert gewesen, wirklich. Ohne dich hätte ich es nicht geschafft
. Er ergreift Neds Hand, ein sanfter Heiligenschein umzittert sie beide.
Nenne deinen Lohn, alter Junge – nenne ihn, und er ist dein.
Er erwacht geruhsam, eine ungewisse Zeitspanne ist verflossen – eine Minute? eine Stunde? –, das Geschnatter der Flußschwalben und Wiedehopfe erklingt am nahen Ufer, von irgendwoher tönt das irre Lachen von Boyles und Bird, beide stockbesoffen. Er reibt sich die Augen, mustert die erhaben an der Reling vorbeiziehenden Baumwipfel und spürt allmählich, ganz vage und stufenweise, daß nicht alles so ist, wie es sein sollte. Deutlichstes Anzeichen: der Schatten, der sich vor ihm auftürmt, grobschlächtig, regungslos, unzweifelhaft ein Mensch.
Ned blinzelt hinauf, kurzfristig geblendet kann er das Gesicht der Silhouette nicht erkennen. «Jonas?» probiert er. «Billy?»
Es kommt keine Antwort. Der Unbekannte steht nur da und starrt auf ihn herab, während Ned die Augen abschirmt und sich bemüht, die Sonnenflecken und Schattenbilder wegzublinzeln. Was er sieht, ist keineswegs beruhigend: ein kantiges Kinn und trübe Schweinsäuglein, Klumpen von struppigem Haargefilz, dazwischen fleckenweise nackte Kopfhaut, das zerfurchte Gesicht und die feisten Ohren eines geborenen Strohschädels – und das alles aufgesetzt auf eine bedrohliche Masse von Knochen, Sehnen und rippenbrechenden Muskeln. Der Gesamteindruck ruft irgendwie unerfreuliche Assoziationen wach – schmerzvolle Assoziationen –, und Ned steht gerade dicht davor, einen intuitiven Sprung in die dunkle, trübselige Vergangenheit zu vollziehen, als der Unbekannte sein Schweigen bricht.
«Na, also verdammich, wenn das mal nich Ned Rise is.»
Im selben Moment, mag es noch so unerklärlich und unmöglich sein, dreitausend Meilen und sieben lange Jahre entfernt, weiß Ned, daß es Smirke ist, der da vor ihm steht. Und geht instinktiv in Deckung. «Mein Name ist Rose, mein Bester, Edward Hilary Rose.»
Der Wirt läßt sich auf die Knie herab, das stopplige, verschwitzte Gesicht voller Erstaunen wie das eines Kindes. «Aber – das kann doch nich sein. Der Teufel schneid mir die Finger ab, wenn ich dich nich wegen Mord hab hängen sehn …»
Ned zieht die Beine unter den Körper und winkelt ganz langsam den Arm an, vermeidet jede plötzliche Bewegung.
«Aber klar biste’s, ganz klar – hier, da is ja noch das Zeichen vom Henker», krächzt Smirke, während er Ned Bier- und Zwiebelduft ins Gesicht atmet und mit einem fetten Finger auf den offenen Hemdkragen zeigt.
«Nein, mein Freund», sagt Ned, der jetzt zentimeterweise seitwärts davonrutscht, «du meinst einen anderen. Ich bin Berufssoldat. Geboren und aufgewachsen in Cornwall, bin noch nie im Leben in London gewesen …
«London? Hat wer was von London gesagt?» Auf einmal liegt Smirkes Hand an Neds Kehle, der starke, knotige Unterarm rafft ihn auf wie ein Lumpenbündel. Der Kneipenwirt hält ihn einen langen, unangenehmen Moment lang in der Luft – die Augen zu Schlitzen
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