Wassermusik
Eingeborenenbräuche gegeben und ihn mit Johnson bekannt gemacht. Als Mungo so gut wie ausgezehrt von seinem ersten Waffengang mit dem Dschungelfieber flachgelegen hatte, war Laidley sein Pfleger gewesen, hatte ihm Tasse um Tasse des scharfen reinigenden Kräutertees gebracht und aus John Donne, Milton und Shakespeare vorgelesen, mit einer Stimme so gelassen und sicher wie die Bank von England. Er hatte dem Entdeckungsreisenden beim Aufbruch als letzter nachgewinkt und ihm bei seiner Rückkehr als erster gratuliert – und er war der erste Weiße gewesen, der die historischen Neuigkeiten über den Niger erfuhr. Er war der ruhende Pol in einem Chaos aus Farben, Dialekten, Tätowierungen und Nasenringen gewesen, einziger Fixpunkt in einem ständig zerfließenden Bild von bizarren Begierden, Bedürfnissen und Praktiken. Er war Mungos Mentor.
Der Entdeckungsreisende bahnte sich einen Weg durchdas Gewirr der Schilfhütten – jede mit kläffendem Hund und nackten Kindern im Eingang – und ging die staubige Straße zu des Doktors ausladender Residenz/Festung/Faktorei hinauf; dabei grinste er in der Vorfreude, den Doktor wiederzusehen, ihm die Hand zu drücken und Zander vorzustellen, ihm vom phänomenalen Erfolg seines Buches und der Wirkung seiner Entdeckung auf die Kartographen Europas zu berichten. Er sah ihn schon vor sich: die von Natur stets geröteten Wangen, die weiße Tonsur, den eifrig nickenden Kopf, den nachdenklichen Seitenblick des alten Mannes, der in seinem Schaukelstuhl aus Rohr sitzen und sich all die Nachrichten aus England anhören würde, bevor er zu einem Wirbelwind der Gastfreundlichkeit explodierte. «Jajaja», würde er väterlich und franklinesk sagen und dabei im Zimmer herumflitzen, bis seine Rockschöße flatterten, «aber hier haben Sie erst mal etwas Palmwein, ein wenig Ziegenkäse, einen Teller Kuskus. Oder wie wär’s mit einem Steak? Zigarre? Brandy?» Mungo würde ihm ein Exemplar seiner
Reisen
signieren, sie würden hinten auf der Veranda sitzen und sich mit Kennermiene in ein Palaver über das Land vertiefen, in einen Strom der Worte wie ein mildes Bad, das den Belag seiner siebenjährigen Abwesenheit abspülen, jenes halbvergessene Wissen über Meteorologie und Geographie, Thronfolgen und Stammesgrenzen von neuem beschwören würde. Um die Wahrheit zu sagen, hatte der Entdeckungsreisende einen Auffrischungskurs auch dringend nötig.
All das ging ihm durch den Kopf, als er mit Zander die vertrauten, roh behauenen Stufen der Veranda emporstieg, doch dazu drängte sich ihm auch eine bange Frage auf: Weshalb war der alte Mann nicht schon bei ihrer Landung am Ufer gewesen? War er nicht gesund? Oder draußen im Busch?
Die Antwort erwartete ihn direkt hinter der Tür in Person des langhaarigen, unrasierten D. K. Crump, des früherenAssistenten und zeitweiligen Nachfolgers von Dr. Laidley. Crump lümmelte in einem Korbstuhl, vor sich auf dem Schreibtisch eine Flasche Gin, in der Hand einen qualmenden Joint mit
mutokuane
. Ein rotes Gittermuster durchzog seine Augen. Neben ihm stand eine schwarze Frau in einem gestreiften Hemdchen, die Lider vor Ekstase oder im Rausch halb geschlossen, und bewegte träge einen Fächer, während Crump, der die Hand durch das Armloch ihres Kleides gesteckt hatte, ihr die Brüste betatschte, als wären sie Kartoffeln in einem Sack.
Es dauerte eine Weile, bis die Augen des Entdeckungsreisenden sich an all das gewöhnt hatten. Die Faktorei war düster und riesig, vollgestopft mit Tauschwaren. Er sah Messer, Musketen, Pulverfässer, Tuchballen, Spiegel, Ballonflaschen voll Wein und Brandy, Schachteln mit Nägeln, Äxte, Sägen, Stehaufmännchen und Zuckerbonbons fässerweise. Und dahinter den Berg der einheimischen Produkte, die dafür angenommen worden waren – Stoßzähne, Häute und Füße von Elefanten, formlose Klumpen aus Bienenwachs, Vogelfedern jeglicher Farbe und Form, Körbe mit Pfefferkörnern und Erdnüssen, riesige, knorrige Ebenholzstücke, schlaff herumhängende Pelze von Leoparden, Löwen und Zebras. Es wirkte wie die Nachwehen irgendeiner Naturkatastrophe, die Überbleibsel eines Hochwassers, Treibholz und Strandgut, zu einem staubigen Haufen aufgeschichtet, der sich im Zwielicht des Lagerhauses verlor. Der Entdeckungsreisende nahm diesen Eindruck auf und wandte sich dann wieder dem Mann mit dem nackten Oberkörper und den sehnigen Bizepsmuskeln zu, der dem Ganzen vorzustehen schien.
«Ich bin Mungo Park», sagte er höflich,
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