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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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geschnüffelt.»
    Smirke läßt sich krachend neben Frair nieder und funkelt Ned an, als wäre der persönlich verantwortlich für all ihre Lebensgefahren, während die anderen – ausgepumpt und benommen wie die Überlebenden eines Schiffbruchs – sich zu den Zelten schleppen, die Esel im Schlepptau. Wortlos beugt sich Smirke über den Topf mit Reis und Zwiebeln, den Ned für die Nachzügler aufgestellt hat. Er frißt mit den Händen, kaut geräuschvoll, grunzt und rülpst dabei, schlürft den schleimigen Pamp von den Fingern wie ein großer hennaroter Löwe, der sich die Tatzen schleckt. Hinter ihm duckt sich Frair, ein schmalgesichtiger kleiner Schakal, der die Überbleibsel aufsammelt.
    Smirke ist magerer geworden, Krankheit und Erschöpfung haben seine Masse reduziert. Sein kupferrotes Haar ist ihm größtenteils ausgefallen, und wo seine Haut nicht verbrannt ist, hat sie die Farbe von Talg. Er ist immer noch groß, kräftig und dumm – und somit gefährlich   –, hat aber Ned in letzter Zeit kaum Probleme gemacht. Ned, dem Park wohlwollend leichtere Lasten auferlegt, geht normalerweise an der Spitze der Kolonne, während Smirke, der einen Extra-Esel und zwei Drittel der Zimmermanns-Werkzeuge zu bewahren hat, stets die Nachhut bildet. Und nach einem Zehn-Stunden-Marsch im Regen hat wohl auch Smirke keine Energie mehr, alte Rechnungen zu begleichen.
    Und das ist gut so – denn für Ned ist die Zeit gekommen, die eigenen zu begleichen. Vergessen ist, daß Smirke ihn mit Freuden verprügelt, ihm das sauer verdiente Ersparte gestohlen und den Traum mit Fanny zunichte gemacht hat. Vergessen ist sein Meineid vor vielen Jahren, der Ned an den Galgen liefern sollte. All das hat keine Bedeutung mehr. Wichtig ist nur, daß dieser Wahnsinnige hier sitzt und auf seine Chance lauert. Also: sterben oder sterben lassen. Es war kaum drei Wochen her, sie hatten an einem düsteren, feuchten Morgen die Esel gesattelt, da war Smirke ohne Anlaß über ihn hergefallen. Offenbar war ihm sein Leinengurt beim Straffen gerissen und damit auch ein Geduldsfaden. Schwerfällig trat er im Zorn nach dem Esel, schmiß den nutzlosen Gurt weg und warf sich dann auf Ned. Die brutale Attacke kam in der klaren Absicht, zu überrumpeln und zu töten. Ohne Warnung schlug er Ned voll ins untere Rückgrat, stieß ihn in eine flache, nach Urin stinkende Pfütze und drückte sein Gesicht hinein. Hätten sich nicht sofort Park und Martin eingemischt, Ned wäre glatt ertrunken. So bekam er nur einen guten Schluck Flüssigkeit in die Lunge und trug eine schwere Prellung davon, die ihn tagelang krumm gehen ließ. Der rasende, wutschnaubende Smirke mußte wie ein Heuballen verschnürt und auf einen Esel gebunden werden. «Dafür bring ich dich um, Rise!» stieß er wieder und wieder hervor, bis ihm jemand eine alte Socke in den Mund steckte.
    Jetzt mustert Ned den wie ein sabberndes Vieh über dem Essen hockenden Smirke, seine vor Erschöpfung und Malaria-Auszehrung fast erloschenen Schweinsäuglein, und da hat er eine Inspiration. Er hält den Atem an, bis Smirke und Frair unisono schnarchen – sie liegen vor dem Feuer ausgestreckt wie Hunde nach der Hetzjagd   –, dann sieht er nach, wie weit Jemmie Bird noch wach ist. Bird bekommt von der Welt nichts mehr mit. Mit pochendem Herzen und trockener Kehle prüft Ned die Zündpfanne seinerMuskete und steckt Jemmies Pistole in den Gürtel. Dann schleicht er auf Zehenspitzen vom Lagerfeuer weg, verschmilzt allmählich mit den Schatten hinter den Zelten. «Sssst!» ruft er. Keine Antwort. Er versucht es noch einmal. Immer noch nichts. Und dann kommt, dünn wie ein Hauch, der Ruf zurück.
    Da sind die Maniana, Fragmente der Finsternis. Er kann sie riechen – Schweiß und Fett und den Moschusgeruch wilder Tiere   –, einen Geruch, der so stechend und durchdringend ist, daß er zusammenzuckt, einen Geruch, der uralte Erinnerungen der Spezies aufwühlt, Atavismus und Zeichenfunktion zugleich. Dann sieht er sie, sieht ihr Grinsen, die Zähne hängen in der dunklen Leere wie losgelöst von Kiefern und Gesichtern. Als sie näher treten, weicht er etwas zum Feuer zurück, die Muskete auf die blinkende Zahnreihe gerichtet, die ihm am nächsten ist.
    Sie kommen aus den Schatten gehuscht wie aus einem Teich, die Dunkelheit saugt von hinten an ihnen. Es sind fünf, jung und hager und wild dreinblickend. Der Geruch dreht ihm den Magen um. Er winkt sie heran, und der vorderste Wilde, der mit der Halskette aus

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