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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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einem Baumstamm. Sein Gesicht ist wach und wißbegierig, und wenn er spricht, ist es ein wahrer Wortschwall, wobei er sich zur Bekräftigung am rechten Ohr zupft. Wie fast alle Mandingo hat er nur einen vagen Begriff des eigenen Alters, aber Ned schätzt den Mann auf etwa fünfunddreißig. «Was gesehen?» echot Serenummo nur.
    «Ja, Gesichter. Ich bin mir aber nicht mal ganz sicher, ob ich sie wirklich gesehen habe.»
    Der Schwarze läßt sich neben dem Feuer nieder und zieht eine Kalebasse aus den Falten seiner Toga. Er winkt kurz mit der zugekorkten Flasche, um Ned einen Schluck anzubieten.
    «Wilde», sagt Ned, der die Kalebasse ignoriert. «Nackt und bemalt, mit angefeilten Zähnen. Ich glaube, sie verfolgen uns.»
    «Ach so», sagt Serenummo, «du meinst die Maniana.»
    «Maniana?»
    Der Schwarze nickt. «Kein Grund zum Fürchten. Die hoffen bloß darauf, ein kleines Geschäft mit dir zu machen.»
    Ned spürt den Zweifel und die Angst bis ins Mark. Geschäft? Was für Geschäfte ließen sich mit diesen verrückten Monstern wohl abschließen? Erdrosseln und Abstechen? Vergewaltigung, Folter und Verstümmelung? Bis jetzt ist er wie ein streunender Kater immer auf allen vieren gelandet – ob nun als Fischer, Impresario, auferstandener Heiland, Grabräuber oder Zuchthäusler   –, aber dieser Afrika-Blödsinn macht ihn vollkommen ratlos. Alles ist so scheußlich und unzivilisiert – manchmal wünscht er, wieder in London zu sein und dort Osprey, Banks und dem Henker davonzurennen. Von denen wurde man wenigstens nicht aufgeschlitzt und mit Sand gefüllt. Ehe er weiß, was er tut, schreit er: «Wieso kommt ihr denn nicht raus da und zeigt euch, ihr Feiglinge? Warum versteckt ihr euch in den Büschen wie eine Horde angepinselter Teufel?»
    «Ist nicht ihr Stil», sagt Serenummo, nimmt einen Schluck aus der Kalebasse und mustert Neds Miene. «Weißt du, kaum ein Stamm macht Geschäfte mit denen, deshalb haben sie eine natürliche Scheu. Was sie wollen, das ist   … naja, sie sind scharf drauf, ihre Mitmenschen zuverspeisen: Herz, Nierchen und Hirn. Wir nennen sie die Maniana.»
    «Kannibalen», flüstert Ned in seiner Muttersprache.
    Serenummo hält nun einen Vortrag, zerrt an seinem Ohrläppchen, seine Augen funkeln: die Unterbrechung bemerkt er kaum. «Sie leben weit drüben im Osten am Joliba. Wenn sie Krieg führen, sammeln sie die Toten und Verwundeten ein und verzehren sie. In Friedenszeiten schickt ihr König manchmal Trupps aus, die einsame Reisende auf dem Weg überfallen, und wenn das nicht gelingt, kaufen sie eben ein paar Sklaven für den Kochtopf.»
    Ned hockt zusammengekauert neben dem Schwarzen, gebannt und verängstigt zugleich, wie ein Kind, das einem Märchen von Hexen und Kobolden lauscht. Er kann nicht anders, er muß an all die Männer denken, die sie auf dem Weg zurückgelassen haben, an die Versprengten, die jetzt da draußen umhertappen. In der Nacht.
    «Natürlich würde keiner wirklich Handel mit denen treiben», fügt Serenummo mit nervösem Lächeln hinzu, «ich meine, ihnen Sklaven verkaufen. Das wäre zu grausam», flüstert er und wirft Ned einen Seitenblick zu, «viel zu grausam. Ein schlimmeres Schicksal als der Tod.»
    In diesem Moment ertönt plötzlich lautes Getöse aus der absoluten Öde der Nacht, dicht gefolgt von einem deftigen Fluch, einem Grollen und Zähneknirschen, dem Klappern von Eselhufen. «Verdammich, wenn ich mir jetz nich grad das Bein angehaun hab. Gottverdammich. Verfluchtsollersein, dieser Scheißer von Park und die Fotze vonner Nutte, die’n hat nuckeln lassen.» Smirkes Stimme.
    Serenummo erhebt sich rasch, tippt Ned zum Abschied kurz an und huscht zum Zelt seines Herrn hinüber, als der Lärm näher kommt. Kurz darauf torkelt Smirke in den Lichtkreis des Feuers, neben ihm vier hohlwangige Nachzügler, deren Augen von Fieber und Furcht ganz klein geworden sind. Die Flanken ihrer Esel sind mit Blut betupft,die Nüstern weiß von Schaum. «Meine Herrn» schnauft einer von ihnen, als er vor dem Feuer zusammenbricht. «Wir sind fast lebendig aufgefressen worden da draußen!» Ned erkennt ihn: es ist Frair, ein klapperdürrer Bursche, der ständig nörgelt, er ist wirklich einsame Spitze im Jammern.
    «Ham nich mehr weiter gekonnt», fügt ein anderer hinzu, der kaum stehen kann. «Also tun wir Rast machen unter so’m großen schwarzen Baum, und kaum is die Sonne weg, schleichen sich so Wolfsviecher ran – Scheiße, Mann, die ham schon an meine Füße

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