Wassermusik
Momentschlug Dassoud mit wutverzerrtem Gesicht die Eingangsklappe auf, eine Waffe in der Hand. Ahmed konnte kaum Luft schnappen. Weiße Männer, eine Armee von ihnen, seien soeben in Bambakou nach Bambarra eingedrungen, keuchte er. Sie hätten Feuerwaffen, sie brächten Schwarze um, nähmen Sklaven, plünderten die ganze Gegend.
Die Neuigkeit traf Dassoud wie der boshafte Huftritt eines Kamels. Er war wie betäubt, bis sich seine Überraschung in Wut verwandelte. Weiße:
Nazarini
. Er haßte sie bis ins Innerste seiner Seele, haßte sie so, wie er noch nie zuvor gehaßt hatte. Der einzige Weiße, den er je gesehen hatte – diese winselnde Ratte von Entdeckungsreisendem mit den Katzenaugen –, war ihm entkommen. Hatte ihn ausgetrickst. Überlistet. Der einzige Kampf, den Dassoud jemals verloren hatte, und die Erinnerung daran war eine schwärende Wunde, immer noch so feucht und offen wie an dem Tag, da sie ihm geschlagen worden war. Er biß die Zähne zusammen bei dem Gedanken an diese Erniedrigung; daran, wie er mit leeren Händen und zerfetzten Kleidern ins Lager geritten war und, obwohl keiner ein Wort zu sagen wagte, tausend Blicke ihm gezeigt hatten, was alle dachten. Und dann war da noch Fatima – sie hatte diesen Bastard gehätschelt, stundenlang mit ihm herumgesessen und seinem Kauderwelsch gelauscht, als wäre er ein
marabut
oder ein Weiser oder so was, während er, Dassoud, der Sohn eines Berbersultans und Schrecken der Schlachtfelder, gar nichts mehr gewesen war. Selbst jetzt, so viele Jahre danach, erfüllte ihn die Erinnerung noch mit Wut und Haß. Er wandte sich dem nächstliegenden Opfer zu – Ahmeds Kamel – und schlug es mit einem einzigen Hieb der geballten Faust bewußtlos. Dann sprang er aufs Pferd und donnerte in Richtung Segou davon.
Zwei Wochen später war er der glücklichste Mann der Welt, trunken vor Freude. Von allen
Nazarini
auf Erden war es ausgerechnet Mungo Park, der sich da in Reichweitedes langen Arms des Emirs begeben hatte. Und dieser Brief. Er lachte beim Gedanken daran, wie das Schreiben inzwischen unter den Stämmen des Nordens die Runde machte, wo es sie zu blinder, irrationaler Rage aufstachelte und jene tödliche, unbarmherzige, blutrünstige Wut entfachte, wie es keine Schandtat gegen ihre Religion oder ihr Vieh – nicht einmal gegen ihre Frauen und Kinder – so leicht geschafft hätte: die
Nazarini
wollten ihnen an die Brieftasche! Besser hätte es gar nicht kommen können. Ihm war es egal, wie groß die Armee des Weißen war – er, Dassoud, die Geißel des Sahel, würde noch vor Monatsende fünfzehnhundert wutentbrannte Reiter hinter sich haben.
Und dann wollte er Mungo Park in Sansanding ein zweitesmal empfangen.
SANSANDING
Die Nacht ist voller Gesichter, grimassierender, lüsterner Gesichter von nackten Wilden mit Haaren wie züngelnde Schlangen, stieren Blicken und angefeilten Zähnen. Sie umzingeln ihn, ihre Schneidezähne schließen sich zischend, es ertönt ein wilder Schrei, Speere und Steine und vergiftete Pfeile regnen herab, das Schlürfen der Strömung, das Tosen der felsigen Stromschnellen … und dann wacht er unter dem feinen Gewebe des Moskitonetzes und dem Glitzern der Sterne schwitzend auf. Der Entdeckungsreisende ist in Sansanding, er fällt immer wieder ins Delirium, seit zwei Wochen, einem Monat – wer weiß das? Irgendwann war da der Tod von Zander – ja, damit fing es an – und der Brief an Mansong. Seitdem kann er Wirklichkeit und Truggebilde nur unscharf unterscheiden, weiß nicht mehr, was in den Gedanken und Erinnerungen anderer entstanden und was in seinem eigenen Kopf geschehen ist. Da war etwas mit Jemmie Bird, etwas Schlimmes, ein Streit mit Johnson, eine Zeit des Treibens, desSchwimmens, offenbar auf dem Fluß, und dann die wirbelnden Düfte und Farben des Marktplatzes von Sansanding und das lange Warten auf Mansongs Kanu. Ja, jetzt läßt das Fieber nach, und allmählich fällt ihm alles wieder ein.
Wände stürzten zusammen und Vulkane brachen aus in der Nacht, als Zander starb. Der Himmel riß entzwei, die Erde flog hin und her wie ein durchgehendes Kutschengespann, hob und senkte sich, so daß der Entdeckungsreisende auf die Knie fiel und sich ihm der Magen umdrehte. Er erbrach sich, ihm tränten die Augen, ein Sturzbach von Reis, Tamarinden, halbverdautem Fisch und bitterer gelber Galle ergoß sich aus seinem Mund, während Zander dort auf der Trage lag, tot. Mungo fluchte. Zerbiß sich die Zunge. Trommelte mit
Weitere Kostenlose Bücher