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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Geometrie anzudeuten. Dort steht auch die uralte Eselsfeige, die über dem Platz thront wie ein Schutzgott. «Wartet hier!» befiehlt der Botschafter und bedeutet dabei zwei geduckten Dienern, die Esel zur Inspektion abzuführen. Dann taucht er in einen schmalen Gang ein, der sich scheinbar wie ein Mund vor ihm auftut, und läßt Serenummo und Dosita im schlammigen Hof unter den wachsamen Blicken der zwei Riesen zurück. Sie kommen von weit her, sie sind hungrig, durstig, müde und durchnäßt. Niemand bietet ihnen zu essen oder zu trinken an. Niemand lädt sie ein, sich irgendwo hinzusetzen oder auch nur unterzustellen.
    Nach einer halben Stunde erscheint der Botschafter an der Öffnung eines düsteren, gewundenen Ganges am anderen Ende des Platzes. Er winkt sie mit dem Zeigefinger herbei, dreht sich um und klappert in seinen Sandalen davon. Sie müssen sich sputen, um Schritt zu halten, wenden sich nach rechts und links, nach Osten, Westen, Süden und Norden, durchqueren endlose Zimmerfluchten, Höfe, Korridore, Pferche und Ställe, geleitet vom roten Schein der Toga des fetten Mannes, als entwirrten sie Faden um Faden die Geheimnisse eines Labyrinths. Endlich treten sie in einen dunklen Raum mit Lehmwänden, der nur von einem Kohlenrost erhellt ist und nach Schweiß und Räucherwerk riecht.
    Auf Geheiß des Botschafters sinken sie auf die Knie, tupfen unterwürfig die Stirn auf den Erdboden. Als Serenummo wieder aufblickt, wird ihm klar, daß sie hier tatsächlich im Thronsaal sind, in der Gegenwart des Potentaten selbst. Mansong sitzt auf seinem vergoldeten Schemel,gewaltig wie eine Statue im Park. Er trägt eine schmutzige Perücke und aus silbernen Löffeln gebastelte Ohrringe. Neben ihm ist sein Sohn Da, eine Miniaturausgabe des Königs; zu seinen Füßen ein weißer Hund. Wokoko, Geisterbeschwörer und oberster Berater, sitzt Mansong zur Rechten, gekleidet in seine Hyänenfelle und Straußenfedern, und in den Schatten dräuen die riesigen, breiten Gestalten der Leibwächter. Überraschend allerdings ist die Anwesenheit von zwei Mauren. Einem Einäugigen, der an einer Pfeife zieht, und seinem Gefährten, einem großgewachsenen Mann, hart wie Fels, mit schwarzen, messianischen Augen und einer gestrichelten Narbe quer über das Nasenbein. Weshalb zog Mansong Mauren zu einer Ratssitzung bei?
    «Mansong der Erhabene befindet eure Geschenke für angemessen», verkündet der Botschafter. «Habt ihr eine Nachricht für den König?»
    Serenummo steht langsam auf und schnürt seinen
saphi
auf, um den Brief herauszunehmen. Dann aber zögert er, weil ihm Mungos Befehl einfällt. Er spürt die Blicke der Mauren auf sich.
    «Nun?» bellt der Botschafter. «Mansong wartet.»
    Serenummo fummelt in dem Beutel und zieht den Brief heraus. Mit einer Verbeugung tritt er vor, um ihn dem König zu überreichen, da ist der lange Maure plötzlich auf den Beinen, schnell wie ein Raubtier. Die königliche Hand ist ausgestreckt, der Brief erhoben und dargeboten, als der Maure einschreitet. «Den nehme ich», knurrt er auf arabisch, fegt die offene Hand von Mansong dem Mächtigen beiseite wie einen aufdringlichen Bettler, schnappt sich den Brief aus der Luft und schiebt ihn mit zornigem, verächtlichem Blick in die Falten seiner
jubbah.
    Keiner, auch nicht der grimmigste Wächter, sagt ein Wort.

DASSOUDS GESCHICHTE, TEIL II
    Als ebenso stolzer wie hitziger Edelmann, als Repräsentant einer Kultur, die den
tabala
-klopfenden, an ihren Ziegen nuckelnden Mauren um Lichtjahre voraus war, als Mann, der das Mittelmeer geschaut und die Sahara durchstreift hatte, war Dassoud mit seiner Rolle als Scherge und menschlicher Schakal nicht lange zufrieden. Die zweite Geige zu spielen, mochte für einen Jüngeren ausreichen, einen unbeschwerten, unerfahrenen Mann, doch mit reiferem Alter erwartete sich Dassoud allmählich ein größeres Stück des Kuchens. Anfangs hatte er sich damit begnügt, doch bald ärgerte ihn seine untergeordnete Stellung. Er verübelte Ali dessen Autorität, begehrte dessen Privilegien, kritisierte dessen Taktik auf dem Schlachtfeld wie bei Friedensverhandlungen. Der echte Grund seiner Unzufriedenheit, tut man der Wahrheit Genüge, war jedoch Fatima. Mit zunehmendem Alter nahm auch ihre Leibesfülle zu. Sie erblühte, stopfte Kuskus und Kümmelkekse in sich hinein, zwanzig Mahlzeiten am Tag, erwachte des Nachts, um sich Milch und Honig bringen zu lassen. Als sie Ende Zwanzig war, hatte die Königin weitere sechsunddreißig

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