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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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den Fäusten auf den Lehmboden. Als die Erde endlich wieder zur Ruhe kam, stellte er fest, daß er nicht aufstehen konnte, daß keine Kraft mehr in seinen Armen war, seine Beine abgestorben – er war ein Lachs aus dem Ozean, der sich wie toll den Yarrow stromaufwärts warf, getrieben von einer uralten, unnachgiebigen Macht, der glitzernd und Sprung um Sprung weiterhetzte, nur um in einer seichten Pfütze auf Grund zu laufen, mit dem Rücken über der Wasseroberfläche, der Schwanz kraftlos zuckend. Er war am Ende.
    Die Nacht ging weiter. Ein Ruf ertönte wie der eines Ziegenmelkers, das Geräusch rauschender Flügel. Warum mußte er zum Niger vordringen? fragte er sich. Warum setzte er Leben aufs Spiel, warum verspielte er es? Wer war er denn, er, Mungo Park, daß er einen schmalbrüstigen kleinen Stubenhocker wie Zander hinaus ins gefletschte Gebiß der Wildnis zerrte? Seine Frau mit vier Kindern im Stich ließ? Sechsunddreißig Männer in ihr Verderben führte und einen armseligen alten Neger ins Jenseits beförderte, als wäre er nichts als ein Insekt oder eine Kröte?Was war aus ihm geworden? Der Antwort wollte er sich nicht stellen. Nicht jetzt. Überhaupt nicht. Im Morgengrauen raffte er sich auf und entkorkte ein Faß mit Rum.
    Er war drei Tage lang betrunken. Total besoffen. Johnson übernahm währenddessen das Kommando, arrangierte Zanders Begräbnis, stellte die Ausrüstung für die Fahrt nach Sansanding zusammen, schickte Serenummo und Dosita Sanu mit dem Brief für Mansong los. Als Mungo endlich zu sich kam, lag er ausgestreckt in einer Piroge: wie ein Wikinger auf dem Weg nach Walhalla. Es war Nacht, sternlos und schwarz wie das Nichts. Er hörte das Klatschen der Paddel, leises Stimmengemurmel. Er hörte das Heulen und Summen und Brabbeln von Nachtwesen, einen Klang, der immer stärker anschwoll, bis er so laut und undifferenziert war wie das Tosen schwerer Brandung, und dann sah er Gestalten in der Nacht, Gesichter und Farben, Tiere mit Adlerköpfen und Schlangenschwänzen, und er wußte, das Fieber hatte ihn gepackt. Während des Überlandmarsches hatte es ihn wundersamerweise verschont, doch jetzt, nach dem Besäufnis und der Nacht auf dem feuchten Boden, hatte es ihn mit Macht eingeholt. Abrupt setzte er sich in der Finsternis auf. «Zander!» schrie er. «Johnson!»
    Eine warme Hand legte sich auf seine Brust. «Alles in Ordnung, Mr.   Park. Ein kleiner Fieberanfall, das ist alles. Sie sind jetzt auf dem Fluß. Haben Sie gehört?»
    Er hatte es gehört. Aber er konnte ja nicht einfach so liegen bleiben – schließlich war er der Leiter dieser Expedition. Er mußte aufstehen und seinen Männern vorangehen, die Kanus lenken, die Landungen überwachen, sich Namen für alle hervorstechenden geographischen Charakteristika ausdenken. Landkarten waren zu zeichnen, ganze Regionen zu vermessen, Pflanzenproben zu pflücken und zu trocknen.
    Die Hand lag auf seiner Brust wie eine schwere Last.Sie drückte ihn nieder, fest und überzeugend. «Bleiben Sie liegen, Mr.   Park – es ist alles unter Kontrolle», flüsterte Johnson. «Morgen früh sind wir in Sansanding.»
    Was? Flach auf dem Rücken in Sansanding ankommen? Niemals. Fieber hin, Fieber her, Zander hin, Zander her, er mußte aufstehen und seine Leute anführen. Wie ein erbostes Kind schlug er die Hand weg und kam inmitten eines Tumults von Schreien an Bug und Heck schwankend auf die Beine. Irgendwo über sich hörte er einen Vogel erschreckt aufkrächzen, dann begann das Kanu auf einmal gefährlich zu schlingern, nach links, nach rechts, wieder nach links, und er flog kopfüber in die Tintensuppe der Nacht und in die kalte, feste Umklammerung des Niger.
    Rufe und Flüche ertönten, mal auf englisch, mal im Somoni-Dialekt der Fährleute. Das Kanu, in dem Mungo gelegen hatte, war 7,60   m lang. Geladen hatte es Gepäckbündel, und an Bord waren zwei Somoni, Johnson, Ned Rise und Jemmie Bird gewesen. Als es kenterte, flogen Passagiere und Fährleute gleichermaßen in den Fluß. Jemmie, der sich an die Kochtöpfe gebunden hatte, schwamm kurz obenauf, solange die großen Eisenkessel ihn hielten; Sekunden später kippten sie um, füllten sich mit Wasser, und er ging unter wie ein Stein. Ned war es währenddessen gelungen, den Entdeckungsreisenden am Hemdkragen zu packen und mit ihm auf die noch dichtere Schwärze des Ufers zuzupaddeln. Johnson hatte bei seinem wilden Herumgezappel per Zufall das Kanu erwischt und sich daran geklammert, während die

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