Wassermusik
dich in acht vor Boussa
, hatte sie gekrächzt.
Nimm dich in acht.
Mungos Gesicht war blutleer. Lange Zeit sah er Johnson reglos an, die Arme hatte er erhoben wie in einer Art rituellem Zweikampf. Endlich bewegten sich seine Lippen stumm, als ob er betete.
«Geh nicht!» sagte Johnson nochmals, und das brachden Zauber. Mungos Gesicht verzog sich, wurde zur häßlichen Maske. Rasch und gewaltsam packte er Johnsons Toga, die Faust raffte den Stoff bis zum Kinn des Schwarzen und zwang seinen Kopf nach hinten. «Verräter!» schrie er. «Du dreckiger Abschaum. Der Böse bist du hier, du bist es, der mich unterminieren will – nicht Amadi Fatoumi.» Dann warf er den alten Mann mit einem einzigen explosiven Stoß seines Arms in den Schmutz. «Raus!» kreischte er, seine Stimme schrill vor Wut. «Raus hier, Nigger!»
Johnson verzog keine Miene. Er raffte sich auf, klopfte die Toga ab und entfernte sich aus Mungos Leben. Für immer.
BON VOYAGE
Irgendwo kräht ein Hahn, und ein Muezzin jodelt das Morgengebet. Man hört das Kratzen und Schurren von Sandalen draußen vor dem Zelt, wo die Dorfweiber Dung fürs Frühstücksfeuer aufsammeln, und Vogelgezwitscher aus dem wilden Buschgewirr am Flußufer. Schon jetzt, mit dem ersten Lichtstrahl, setzt eine erbarmungslose, sengende Hitze ein, und die blasige Luft ergießt sich über den Entdeckungsreisenden wie Schlacke. Mit müdem, resigniertem Schnaufen erhebt er sich aus den verschwitzten Laken und den schädelzerfetzenden Träumen, torkelt hinaus und uriniert an eine Mauer aus gebranntem Lehm. Über Nacht kam ein Wetterumschwung, eine neue Jahreszeit hat begonnen: kurz nach Mitternacht wechselte der Wind auf Norden, der Harmattan begann sein heißes Pfeifen aus der Großen Wüste und brachte ein Gefühl der Entkräftung und Depression mit sich, das auf Mungo lastet wie eine bleierne Decke. Halbwach steht er da, den Pimmel in der Hand, und kommt sich ausgelaugt und verkatert vor, obwohl er seit Wochen keinen Tropfen angerührt hat.
Ein dunkler Fleck entsteht auf der hellen Mauer, wirdzum geflügelten Drachen, zu einem Hirschkopf, und er betrachtet ihn in dumpfer Faszination, bis er plötzlich eine Bewegung in seinem Rücken wahrnimmt, gedämpftes Füßescharren und Geräuspere. Als er mit der trägen Geistesabwesenheit eines Schlafwandlers den Kopf wendet, stellt er fest, daß die Überreste seiner Armee in loser Formation hinter ihm angetreten sind, ihre zerlumpten Uniformen schimmern im fahlen Licht. Martyn und M’Keal, Ned Rise, Fred Frair und Abraham Bolton. Die Taschen vor sich, die Musketen geschultert. Dahinter Amadi Fatoumi mit seinen drei schurkisch wirkenden Sklaven, wie Mauren in
jubbah
und
tagilmust
gekleidet. Immer noch über die Schulter blickend, sieht er, daß alle neun ihn schweigend und respektvoll anstarren, als wäre das Pinkeln in Unterhosen gegen eine Mauer dem Weihen einer Hostie oder der Verwandlung von Wasser in Wein vergleichbar.
«Sir!» bellt Martyn und bricht damit das Schweigen. «Die Besatzung der
Joliba
meldet sich wie befohlen zum Dienst.»
Natürlich. Es ist ja der Morgen ihrer Abfahrt, der Morgen, an dem sie ihr Schicksal in den Wind hängen – oder vielmehr ins Wasser. Ja, beim Aufwachen war es ihm fast entfallen, die Luft war so schwer und drückend, das Fieber kroch schon wieder an ihm herauf: ja, natürlich. Das große Abenteuer fängt wieder an!
«Sehr gut, Leutnant», krächzt Mungo, knöpft sich zu und dreht sich zu seinen Leuten um. «Brecht das Zelt ab, verstaut meine Sachen und macht alles zum Ablegen fertig.» Etwas schwach auf den Beinen und mit verschwiemelten Augen mustert er die hoffnungsvoll-ängstlichen Gesichter der Männer und möchte ihnen gern sagen, daß alles gutgehen wird, daß der Niger nicht mitten in der Wüste eintrocknet oder in den Tschadsee mündet, daß es von jetzt ab eine glatte Sache ist. Aber er kann nicht. Alles Hoffen und Beten, alle Ahnungen und Mutmaßungen geben ihmdoch keine Gewißheit, daß er sie nicht in den nassen Tod am gottverlassenen Nabel dieses gottverlassenen Kontinents führt. Er kann nur noch, als Inspiration und Trost, einen überflüssigen Befehl hinzufügen: «Und beeilt euch gefälligst!»
Ohne das Wissen des Entdeckungsreisenden, von Führern oder Mannschaft hallen die Hügel vor Sansanding in diesem Moment vom Donnern trappelnder Hufe wider: der Harmattan ist nicht das einzige, was von Norden herbeistürmt. Nein: Dassoud, die Geißel des Sahel, ist auf dem Weg in die
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