Wassermusik
Näherei war wirklich das Letzte. Entnervt knallte er die Nadel hin und funkelte Johnson an. «Jetzt hör mal zu», sagte er mit rauher, schroffer Stimme, «wenn du mich hier in letzter Minute unter Druck setzen willst, dann wird daraus nichts. Die ganze Zeit sagst du immer bloß nein, und ich kann dir sagen, es stinkt mir langsam. Also pack dein Zeug und steig ins Boot. Punktum. Ende der Debatte.»
Johnson schüttelte langsam den Kopf. Er wirkte wesentlich älter als noch vor wenigen Monaten in Dindiku, erschöpft und ausgelaugt. Sein Doppelkinn war verschwunden, und der gewaltige Wulst seines Bauches schien geschrumpft zu sein. Mit immer weißerem Haar und immer steiferen Gliedern sah er jetzt wirklich wie ein Zweiundsechzigjähriger aus. «Du brauchst mich gar nicht», sagte er, «du hast ja Amadi Fatoumi.»
Das stimmte. Johnson selbst war nie weiter östlich als Sansanding gewesen, wußte also denkbar wenig über Geographie, Völker oder Sprachen des unteren Nigerlaufs Bescheid. Und Mungo hatte einen neuen Führer engagiert – einen fahrenden Händler namens Amadi Fatoumi, der schon bis Kong, Badou, Gotto und Cape Coast Castle im Süden und Timbuktu, Haussa, Maniana und Bornou im Osten gekommen war. Trotzdem, der Gedanke, ohne Johnson weiterzufahren, war unerträglich. Mungo erschauerte bis ins Mark, die Angst kroch ihm bis in die Fußsohlen. Ohne Johnson war er völlig auf sich gestellt. «Also gut», sagte er und erhob sich von seinem Pult. «Ich erhöhe deinen Lohn, schicke dir kistenweise Bücher, Gemälde – alles, was du willst.»
«Nein», sagte Johnson, immer noch mit demselben müden, resignierten Kopfschütteln. «Du wirst mir gar nichts mehr schicken, Mungo. Wenn du mit dem Kahn da morgen ablegst, wirst du England lebendig nie wiedersehen.»
«Blödsinn!» schrie Mungo und schlug mit der Faust gegen den Zeltmast, daß das Segeltuch zitterte und wackelte.
«Kehr um!» flüsterte Johnson. «Mir zuliebe. Deiner Frau und den Kindern zuliebe. Kehr jetzt um, bevor es zu spät ist.»
Der Entdeckungsreisende wanderte in der Unterwäsche auf und ab und fuchtelte mit den Armen wie ein großer Wasservogel, der aus einem Sumpf auffliegen will. «Du weißt genau, daß ich das nicht machen kann, alter Junge.» Er versuchte, seine Stimme zu beherrschen. «Ich hab ein Vermögen ausgegeben – alles Geld von der Regierung – und neunzig Prozent meiner Begleiter verloren. Georgie Scott ist tot, Zander auch. Und da erwartest du, daß ich den Schwanz einziehe und umkehre? Wie könnte ich Sir Joseph gegenübertreten? Camden? Oder selbst Ailie? Nein, das ist unmöglich. Ich muß einfach weitermachen.»
«Hey», sagte Johnson ganz leise und ruhig, als spräche er mit Amuta, «scheiß auf dein Ego, vergiß deinen Stolz. Du hast einen Fehler gemacht, gesteh’s dir doch ein. Mitten im Monsun lauter Elendsgestalten mit viel zuviel Gepäck hierherzuschleppen – ja, was erwartest du denn? Kehr um. Kehr jetzt um und rüste eine neue Expedition aus. Du bist noch jung. Du kannst es schaffen.»
Selbstzweifel waren Mungo neu – etwas, das im Verlauf dieser zweiten Reise wie eine Wucherung, ein bösartiges Gewächs an ihm hochgekrochen war. Selbstzweifel und Schuldgefühle. Jedes Wort aus Johnsons Mund traf ihn mit der ganzen Macht seiner eigenen Vorbehalte, jedes Wort stach wie eine Nadel. Doch stur war er auch. Er warf den Kopf zurück. «Bei Tagesanbruch legen wir ab.»
«Ich werde nicht dabeisein», sagte Johnson. Es war eine einfache Feststellung. Er hielt dem Blick des Entdeckungsreisenden stand, griff in die Toga und zog eine silberne Pistole hervor: schmal und mit langem Lauf, darauf eingraviert die Initialen des einzigen Mannes, den er je getötethatte, ein Engländer wie dieser hier, mit blondem Haar und rotem Gesicht. «Nimm sie», sagte er mit kratziger, kaum noch hörbarer Stimme. «Mir hat sie Glück gebracht.»
Von einem dünnen Strahl des Nachmittagslichts beschienen, blitzte die Waffe in Mungos Hand auf, als wohne ihr eine geheime Kraft inne, als wäre sie ein magisches Zauberding, das Blitze schleudern und Pech und Schwefel spucken könne. Verwirrt steckte er sie in den Gürtel, suchte nach Worten. «Johnson», begann er, «du meinst also, ich kann nichts mehr …»
Der ältere Mann unterbrach ihn. «Nimm dich in acht vor Amadi Fatoumi», sagte er. «Der gefällt mir nicht. Und mir gefällt auch nicht, was ich über ihn so gehört habe.»
In diesen letzten Tagen der Ungewißheit und Sorge war der
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