Wassermusik
Entdeckungsreisende launisch wie ein Apriltag geworden. Eben noch war er gerührt gewesen; jetzt, bei der Erwähnung von Amadis Namen, stieg plötzlich brennende Wut in ihm auf und brachte ihn zum Beben. «Ach, und wieso denn?» blaffte er. «Bloß, weil er nicht alt und fett ist, soll er nichts wert sein? Weil er keine goldene Nadel in der Nase hat, kann man ihm nicht trauen?»
Johnson blickte ihm nur in die Augen, kalt und beharrlich. Er hatte nur gemeint, Amadi Fatoumi sei in seinen Augen ungefähr so vertrauenswürdig wie eine Kobra mit Zahnschmerzen und Mungo kein Menschenkenner. Fatoumi war tatsächlich Händler – er verkaufte Flinten und Drogen und Rum aus Westindien an die Stämme im Landesinneren und ließ sich dafür Sklaven geben. Er war Mandingo – aus Kasson –, doch sein Haupt war völlig kahlgeschoren, und er trug einen öligen schwarzen Bart, der nach Maurenart seitlich bis auf die Schultern fiel. In seinen Augen lag eine unergründliche Schwärze – Pupille und Iris waren kaum zu unterscheiden –, und er besaß die Angewohnheit, sich beim Sprechen die Hände zu reiben und den Kopf zu senken.
Er war eines Nachmittags mit Martyn und M’Keal aufgetaucht. Sie hatten ihn auf dem Markt aufgestöbert – oder vielmehr er sie. Wie üblich waren sie betrunken gewesen, von
sulu
-Bier und einem klaren Schnaps, der aus Tomberong-Beeren destilliert und bei den Eingeborenen als
fou
bekannt war, als er sich grinsend an sie herangemacht hatte. Amadi konnte auf englisch etwa fünfundzwanzig Wörter – unter anderem
Drecksau
und
töten
und
Hure –
, und er unterhielt Leutnant wie Feldwebel eine halbe Stunde lang damit, spielte den Narren, bis er sie dann in eine Seitengasse lockte, wo er ihnen die Dienste zweier fügsamer Frauen und einen Klumpen schwarzes Haschisch zugänglich machte. «Sir», hatte Martyn ein paar Stunden später zu dem Entdeckungsreisenden gesagt, «ein prächtiger Bursche ist das.» Amadi stand in Sandalen und
jubbah
zwischen dem ermatteten Martyn und dem wild dreinblickenden M’Keal. Er ergriff die Hand des Entdeckungsreisenden und schüttelte sie heftig. «Viel erfreut», murmelte er. Eine halbe Stunde später war er Mitglied der Expedition: für dreifachen Lohn und das Versprechen, daß ein Viertel aller beim Eintreffen in Haussa-Land noch übriggebliebenen Waren ihm gehörten.
Für Johnson war der Mann offensichtlich ein Verräter und Betrüger, höchstwahrscheinlich ein Mörder, ganz bestimmt aber ein Helfershelfer der Mauren. Aber was er auch sagte, Mungo winkte immer ab. «Du bist eifersüchtig, sonst nichts», sagte er, «weil Amadi Fatoumi halb so alt ist und doppelt soviel weiß wie du. Er spricht Maniana, Haussa, Tuareg und Arabisch, und in Timbuktu war er auch schon.»
Jetzt, da es fünf vor zwölf war und der Entdeckungsreisende mit puterrotem Gesicht vor ihm stand, als wäre er bereit zu einer Rauferei um Leben oder Tod, hielt es Johnson für sinnlos, seine Ansicht weiter vorzutragen, auf Erkundigungen hinzuweisen, die zutage gebracht hatten, daßAmadi als Sklave beim Stamm der Il-Braken aufgewachsen war, beim Ringewerfen einen Mann erstochen und drei Viertel aller Kaufleute in Sansanding betrogen hatte. Nein, Mungo war halb weg vor Schuldgefühlen und Angst und Unsicherheit und klammerte sich an Amadi Fatoumi und dessen angebliche Kenntnisse, so wie er sich in rauher See an eine Rettungsboje geklammert hätte. Diskutieren war zwecklos; Johnson konnte nur bitten. «Geh nicht!» sagte er.
Mungo sah aus, als bekäme er gleich einen Anfall. «Warum denn nicht, zum Teufel?» brüllte er.
Johnson nahm seinen Arm, aber Mungo riß sich los und drehte ihm den Rücken zu. «Also gut», sagte Johnson. «Ich bitte dich umzukehren, weil ich dich Sturschädel gern habe, weil du nicht zurückkommen wirst. Erinnerst du dich an Ebo?»
Mungo wirbelte herum wie von der Tarantel gestochen. In seiner Miene lagen Schmerz und Bestürzung, schieres Entsetzen.
«Erinnerst du dich?» wiederholte Johnson. «Und was war mit der blinden Alten – damals in Silla –, die den Weißengeruch an dir herausgeschnüffelt und dein Haar abgetastet hat? Erinnerst du dich, was sie dir gesagt hat?»
Er erinnerte sich daran. Johnson sah es ihm an. Die Alte war still geworden, hatte ihm die toten Augen zugewandt und den Namen eines fernen Ortes gemurmelt, einen Namen, der über ihre Lippen glitt wie der geheime Name des Teufels, eine fremdartige, barbarische Beschwörungsformel:
Boussa. Nimm
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