Wassermusik
abpressen, ihn berauben, seine Notizen verbrennen, ihn den Mauren ausliefern. Der Gedanke daran legt in seinem Hirn einen Schalter um, Fall erledigt. Mögen Neger dabei sterben, er wird nicht anhalten, komme Hölle oder Hochwasser. Zum Teufel mit den Konsequenzen.
Leider kommen die Konsequenzen rascher als erwartet, und zwar in Form von Kanus – etwa sechzig – kurz hinter einem Ort namens Gotoijege. Es ist Spätnachmittag, zwei Tage nach dem Vorfall in Gouroumo, und die
Joliba
tastet sich knapp an einer jähen Felswand vorbei, die in den Fluß hineinragt wie ein gekrümmter Ellenbogen. Alles ist still, benommen von der Hitze. Die Männer dösen, Hitzewellen wabern über die karge Landzunge, ein einsamer Geier schwebt reglos in der Aufwindströmung über ihnen. Ganz langsam, wie ein treibendes Blatt oder Holzstück, arbeitet sich die
Joliba
um die Felszacke herum ins offene Fahrwasser dahinter. An diesem Punkt bemerkt der Entdeckungsreisende das erste Anzeichen dafür, daß nicht alles in Ordnung ist: irgend etwas ist da drüben, verborgenim tiefen Schatten der vorspringenden Felsen. Eine halbe Sekunde später, vielmehr eine halbe Sekunde zu spät, wird ihm alles klar.
Es ist ein Hinterhalt.
Massen von Kanus drängen sich in der Bucht, es erinnert an einen Treibholzverhau. Weiter vorn, über den Fluß verteilt wie eine Steinzeit-Armada, warten noch zwanzig Kanus in der Strömung. Hunderte von zornigen schwarzen Gesichtern, mit lauter unheilvollen Mustern bemalt. Kräftige schwarze Arme an den Paddeln, Gitterwerke aus hervortretenden Venen und gespannten Muskeln, Bogen und Köcher im festen Griff entschlossener schwarzer Hände, die todbringenden dünnen Schäfte spitzer Lanzen. Kein Zweifel: es hat sich herumgesprochen. Jemand hat diesen Leuten gesteckt, daß Weiße auf dem Fluß sind, seltsame bleiche, gespenstische Wesen, die dort Amok laufen, Gemetzel veranstalten, Stammesbrüder entlang der ganzen Uferlinie morden und sich weigern, Wegezölle und Tribute zu zahlen oder sich wenigstens auf die Knie zu werfen vor den Machthabern, den Himmlischen und Gotterwählten, um die Erlaubnis zum Passieren von Stammesland zu erflehen. Weiße Männer, die einfach bestraft werden müssen.
Plötzlich, mit einem Brüllen, das alle Schneebretter der Alpen abgehen lassen könnte, bricht das statische Bild in Gewalt aus. Wo eben noch nur Sonne und Stille und das mähliche Dösen des treibenden Bootes war, ist jetzt eine wutentbrannte, tobende feindliche Menschenmenge an beiden Ufern des Flusses. Die Landzunge hinter ihnen wirkt wie ein aufgewühlter Ameisenhaufen, wimmelt von aufgestachelten nackten Wilden, die Drohungen und Beschimpfungen brüllen und mit Saustechern herumfuchteln. Scharen von Frauen sind dort aus dem Nichts aufgetaucht, mit schweren Knochen und dicken Hintern, zerfetzen die Luft mit gellenden Orgelschreien und den Schlägen großer, dröhnender Kesselpauken, als würden sie auf glückloseEntdeckungsreisende eindreschen. Hunderte von Männern und Knaben rennen an den Uferrand, um Speere und Steine und brennende Fackeln zu werfen, sie decken das Boot mit Giftpfeilen und primitiven Eisenmessern ein. Nun treten auch die Kanus in Aktion, gleiten flink wie Schatten an der
Joliba
vorbei, große schwarze Athleten an den Paddeln, dahinter geduckte bemalte Krieger, die ihre Speere bereitmachen und ihre pulsierenden Muskeln lockern. Und allesamt – Männer, Frauen, Kinder, Ruderer, Muskelprotze, Bogenschützen, Speerwerfer und Anführer gleichermaßen – grölen sie wie Fleischer auf einer Drei-Tage-Sauftour.
Es ist schrecklich. Furchteinflößend. Überwältigend.
Ob dies das Ende ist? denkt der Entdeckungsreisende, dessen innere Organe sich wie Igel zusammenrollen, während Martyn nach der Muskete greift und Ned Rise die Ruderpinne voll nach rechts wirft, um das Boot in spitzem Winkel von der Bucht wegzusteuern. Pfeile regnen mit dumpfem Geprassel auf das Lederdach, ein Stein ritzt Martyns Backe. Ihnen stehen fünfhundert aufgebrachte Wilde gegenüber, und weitere zweihundert flitzen in schnellen, flachen Kanus auf sie zu. Sie sind total überrumpelt worden, und es sieht übel aus, es sieht aus, als hätten sie schon verloren, bevor es überhaupt anfängt.
Doch jetzt beginnt sich das Chaos wieder zu ordnen: Neds Kurs verschafft ihnen eine Atempause, der herrliche Gestank von Schießpulver brennt ihnen in den Nasen, und ehe man sich’s versieht, legen sich alle mächtig ins Zeug. Sie schnappen sich ihre Waffen
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