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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Prisen in krampfhafter Nervosität, schnippte die Dose auf, kniff ein Nasenloch zu, keuchte und prustete in sein Taschentuch, zuckte am ganzen Körper und schüttelte sich wie ein Epileptiker. Dem Neger fiel die Pistole herunter. Das Nieseln verstärkte sich zum Regen. Barrenboynes Doppelkinn begann zu vibrieren, als erforsche er die oberen Lagen der Klarinette, und Ned bemerkte, daß er in einer Art Sympathieschwingung mitzitterte. Endlich schaffte es der Nieser, zwanzig Schritte abzuschreiten und die Duellanten auf ihre Plätze zu dirigieren. «Fertig!» brüllte er. Zwei harte, metallische Klicktöne hallten über die Wiese, einer den anderen imitierend. «Legt an!» Barrenboyne und der Neger hoben langsam den Arm, als salutierten sie oder nahmen an der Eröffnung eines revolutionären neuen Tanzes teil. Ned stellte sich vor, daß sie ein Jeté über den Rasen vollführten, um einander in die Arme zu fallen. «Ffff–!» kam nun das unvollendete Kommando, das in einem scheidewandzerfetzenden Niesen auslief. Es gab einen Blitz und einen Knall. Am anderen Ende der Wiese kreischten Vögel auf. Die Pistole des Negers rauchte, seine Augen waren immer noch in der Ellenbogenbeuge vergraben. Barrenboyne lag am Boden. Tot wie ein Pharao.

KARTEN AUF DEN TISCH
    Morgengrauen. Die Sonne bricht über den Sahel herein wie ein aufgeschlagenes Ei, fängt dort wieder an, wo sie tags zuvor aufgehört hat – beim Verbrennen, Versengen, Einäschern von allem Lebendigen in ihrer Reichweite. Aasschnüffler und nächtens aktive Reptilien kriechen in ihre Höhlen zurück, und die zerzausten großen nubischen Geier kreisen über der Ebene und sichten die Überbleibsel. Felsen dehnen sich langsam aus, verkümmerte Büsche graben sich noch tiefer in die Erde ein, Mimosenfalten ihre Blätter zusammen wie Sonnenschirme. Ab acht Uhr morgens flimmert der Horizont.
    Mungo Park liegt reglos auf dem Rücken und sieht einem Tausendfüßler zu, der eine Serie von blinden Kreisen auf dem Zeltdach zieht. Seit seinem «Fluchtversuch» wird ihm das Leben sauer gemacht. Jetzt dösen jede Nacht sechs Männer vor seinem Zelt, Essens- und Wasserrationen sind ihm halbiert worden. Langsam kommt ihm der Gedanke, daß er es doch nicht schaffen könnte, daß er womöglich einfach hier liegenbleibt und allmählich verreckt als unverzagter Erforscher der Innenwände eines Maurenzelts. Er wird Ledyard, Lucas und Houghton in den Reihen der schmachvoll Gescheiterten Gesellschaft leisten. Weder wird er Ailie je wieder zu Gesicht bekommen noch seine Mutter, noch die wirbelnden Wasser des Yarrow. Seine Knochen werden trocknen und bersten und zu Staub zerfallen unter der fremden Sonne und den seltsam verschobenen, kolossalen Konstellationen, die sich hier über den Himmel wälzen. Er beginnt zu verzagen.
    Auf einmal teilen sich die Eingangsklappen, und Johnson duckt sich ins Zelt. In der Hand hält er einen Wasserbeutel aus Ziegenleder, in diesen Gegenden
guerba
genannt. Der Entdeckungsreisende liegt flach, vom Fieber geschüttelt, von Würmern zerfressen, mit zusammengeschrumpftem Magen und weitgeöffnetem Schließmuskel, und kann kaum die Lider heben. Er ist schwach und stinkt, hinfällig bis an den hintersten Rand der Hoffnung. Johnson kniet nieder und steckt ihm den Ledersauger in den Mund. Mungos Lippen packen zögernd zu, sein Puls beschleunigt sich. Es ist Wasser, kalt und klar, geschöpft aus den sich verschiebenden, porösen Tiefen der Erde. Es regt seine Haarwurzeln an, härtet seine Zehennägel, Musik für seine brüchigen Knochen. «Ich bin gerettet!» stößt er hervor, dann übergibt er sich.
    «Alles in Ordnung, Mr.   Park. Sie haben’s geschafft.»
    «Wa–?» Die Augen des Entdeckungsreisenden sind gelb verkrustet, die Wangen eingefallen, sein Bart eine Spielwiese für Zecken, Flöhe, Läuse und Maden.
    «Richtig verstanden. Der Oberschakal hier, der meinte eben, ich soll zu Ihnen rein und Ihnen den Wasserbeutel bringen, und nachher einen Tiegel Kuskus und Milch.»
    «Kuskus? Milch?» Ebensogut hätte Johnson ihm Highland-Hammelklein, geräucherten Schellfisch und Schafskopfbrühe ankündigen können. Mungo fällt in einen peristaltischen Schock, dann schnellt er hoch, umklammert die
guerba
und durchwühlt das Zelt mit Blicken. «Wo?» keucht er, indem er mühsam auf die Beine kommt. «Wo? Jetzt sag schon, um Himmels willen!»
    In diesem Moment tritt ein Junge mit einer hölzernen Schale ein. Kuskus mit Milch. Er will sie dem Entdeckungsreisenden zu

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