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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Gelassenheit und Demut. Es gab keine Szenen, keine Wutausbrüche, keine Weinkrämpfe. Er tat, was man von ihm erwartete, sang Hosiannas auf seinen Erlöser und hätschelte seine Erfolgsaussichten. Was eine gute Chance war, mußte man ihm nicht zweimal sagen.
    Sieben Jahre verstrichen. In Frankreich versandte man Einladungen zum Köpferollen, jenseits des Atlantik schlug man Wälder nieder und auf Indianer ein, im East End faßte man endlich den Weiberhasser, der als das «Monster» bekannt war und seit zwei Jahren Frauen auf der Straße den Hintern aufgeschlitzt hatte, und in Mayfair aß Ned Rise dreimal täglich, schlief in einem Bett, badete mindestens zweimal im Monat und legte jeden Morgen frische Unterwäschean. Sieben Jahre. Die Erinnerungen an die Straße hatten zu verblassen begonnen. Er hatte nie wieder Abfall gefressen, Perversionen, Diebstahl, Brandstiftung oder Schlimmeres mitgemacht, nie mehr über Aschenhaufen gehockt, mit Eiskrusten in den Wimpern und einer kalten Faust, die ihm die Lungen zuschnürte – nicht Ned Rise, der Stolz der Barrenboynes.
    Im Laufe der Jahre waren sich Ned und sein Vormund so nahe gekommen wie Mund und Mundstück, vereinigt durch die Liebe zur Musik. Eine Woche nachdem der Alte ihn aufgenommen hatte, fing der Musikunterricht an. Vor Eifer waren sein Gesicht und die Glatze gerötet, der silberne Backenbart stellte sich auf. Eines Abends kam er grinsend ins Zimmer, in der Hand ein hölzernes Futteral. Darin lag eine uralte C-Klarinette , auf der er als Jugendlicher gespielt hatte. Er reichte sie Ned. Schon nach einem Jahr konnte Ned trotz seines Handicaps leidlich darauf blasen, im nächsten Sommer spielte er praktisch alles vom Blatt, und nach fünf Jahren hatte er Übung genug, um den Mentor zu seinem Debüt vor Publikum in den Park zu begleiten. Sie setzten sich auf ebenjene Bank, wo Ned den Alten zum erstenmal gesehen hatte, er mit seiner C-Klarinette , Barrenboyne mit seiner in B, und gaben Melodien aus Estienne Rogers’ Liederbuch zum Besten. Die Menschen kamen herbei, wippten mit den Füßen, wiegten sich im Takt, während in Wien gerade Mozart im Sterben sein großes Requiem komponierte. Ned machte dem Anlaß alle Ehre.
     
    Eines Nachts, kurz vor Morgengrauen, kam Barrenboyne in Neds Zimmer und rüttelte ihn an der Schulter. «Steh auf, Ned», sagte er leise, «ich brauche dich.» Seine Stimme bebte. Seine Wangen waren röter, als Ned sie je gesehen hatte, rot wie Tomaten, wie Fahnen, wie die Jacken der königlichen Husaren. Ned war neunzehn. «Was ist denn los?» fragte er. Keine Antwort. Vor dem Fenster begannen dieVögel zu singen. Der alte Mann schnaufte wie eine Lokomotive. «Zieh dich an, wir treffen uns draußen», sagte er.
    Barrenboyne wartete am Tor. Er trug den Anzug, den er beim Begräbnis seiner Mutter angehabt hatte, den Zylinder aus Filz, einen seidenen Überzieher. Unter dem Arm ein Lederetui aus der gekräuselten Haut eines exotischen Reptils. Eine neue Klarinette? dachte Ned. Er hatte sie noch nie gesehen. Sie gingen raschen Schrittes: über den Grosvenor Square, durch die Brook Street, die Park Lane hinunter, und dann traten sie ein in die weiche grüne Domäne des Hyde Park. Die Gegend war menschenleer. Nebel hing wie Milch aus einem Zerstäuber tief über dem nassen Gras. Eine Krähe lachte aus einem Baumwipfel. «Weißt du, was ein Sekundant ist?» sagte Barrenboyne.
    Es war wie ein Schlag ins Gesicht. «Ein Sekundant? Sie werden doch nicht   …?»
    Der alte Mann packte ihn am Ärmel. «Ganz ruhig jetzt», sagte er. «Du bist erwachsen, Ned Rise. Nun beweise es auch.»
    Zwei Männer   – Gestalten im Zwielicht – warteten am Rand des Serpentine-Teichs auf sie. Einer von ihnen war ein Mohr, klein und fett wie eine Sau. Er trug eine Feder im Hut, Kniehosen aus Rehleder, Florstrümpfe und eine schillernde Weste. Ein echter Rammler. Barrenboyne schritt auf sie zu, verbeugte sich und präsentierte ihnen das Lederetui. Es waren mindestens zwanzig Grad, dennoch fröstelte der Neger. Sein Sekundant, der andauernd Schnupftabak aus einem Emailledöschen inhalierte und in sein Taschentuch nieste, nahm das Lederetui entgegen und öffnete es zwischen Niesanfällen für den Neger. Der Neger wählte eine Pistole. Sein Atem roch nach Alkohol. Dann hielt der Nieser das Etui Barrenboyne hin. Der Alte nahm die Waffe behutsam aus dem Futteral, als packte er seine Klarinette für ein flottes Rasenkonzert aus. Es begann zu nieseln.
    Der Nieser schnupfte seine

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