Wassermusik
verschwinden, die Kinder laufen zu ihren Müttern zurück. «Danke», sagt Mungo. Alis Gesicht bleibt unbewegt. Seine Geste hatte ganz und gar nichts mit Mitleid oder Verständnis zu tun – er will bloß nicht, daß seine Frau den Christen in einer
jubbah
voller Scheiße inspiziert, das ist alles.
Fatimas Zelt ist zwei- oder dreimal so groß wie alle anderen des Lagers und sticht durch breite farbige Bänder hervor: grau, beige und indigo. Mungo erkennt den riesigen Nubier davor. Der Nubier ist voller Wachsamkeit und läßt die schwarzen Muskelklumpen zwischen Ellenbogen und Schulter spielen. Weiter rechts hockt eine Frau im Staub und ist fleißig dabei, ein paar Ziegen zu melken. Der Entdeckungsreisende mustert die hellen Sohlen ihrer Füße, die gelben Torpedos der Ziegenzitzen. Eine Fliege landet auf seiner Nase. Die Sonne berührt den Horizont.
«Absteigen!» ruft Ali, und er und Dassoud springen von ihren Rössern wie zwei russische Akrobaten. Johnson, der auf seinem Esel gerade heranschaukelt, gibt das Kommando an seinen Arbeitgeber weiter, während der Nubier vortritt, um die Tiere zu versorgen.
Es muß wohl erwähnt werden, daß das Gehirn des Entdeckungsreisenden an dieser Stelle unter sisyphusartigem Streß leidet: Er ist aufgedreht, nervös, zittert vor Besorgnis und Zweifeln. Der Erfolg seiner Mission – tja, sogar sein Leben – können von dem Eindruck abhängen, den er in seiner bevorstehenden Unterredung bei der Königin macht. Mit der gleichen Mischung aus Brechreiz und einem Tritt in die Niere wie damals in der Schule immer kurz vor den Semesterexamen rutscht ihm der Magen in die Hose. Bammel nannten sie es damals. Lampenfieber. Tatterich. Kloß im Hals.
Daher schwitzt er wie ein Marathonläufer, als er vom Sattel rutscht, mit dem linken Fuß im Steigbügel hängenbleibtund in einem Orkan aus Staub und Ziegenhaar dumpf auf dem Boden aufschlägt. Er bleibt einen Moment liegen und denkt: Christus im Himmel, was hab ich jetzt wieder gemacht, während Dassoud und Ali Blicke tauschen und Johnson ihm zu Hilfe eilt. Nachdem er das Pferd beruhigt, den Steigbügel gelockert und schließlich den Stiefel befreit hat, gelingt es Johnson, ihn zu erlösen. Doch dies ist nur der Anfang. Der Boden hier, so scheint es, ist ein Mekka für alle Sahel-Bewohner mit Verstopfung, eine einladende Latrine für Mutter Natur und all ihre Schöpfungen, ob gefiedert, bepelzt oder geschuppt. Hier liegen Ziegenköttel Seite an Seite mit Hyänendreck; körnige Pakete Kamelmist, Hundescheiße, Kuhscheiße und Schafscheiße ringeln sich um die verdorrten, fadenförmigen Losungen von Ottern und Eidechsen; sogar vereinzelte Steinbockexkremente liegen herum. Mungo erhebt sich aus dem Morast, wischt sich die
jubbah
ab und klopft seinen Hut aus. «Tut mir leid», sagt er. Ali zuckt die Achseln. Dann bedeutet er ihm zu folgen, verschwindet durch die wehenden, einander berührenden Eingangsklappen von Fatimas Zelt und taucht in das Mysterium dahinter ein. Mungo stinkt nun wie ein ganzer Zoo, sein Rücken ist eine abstrakte, in Malven-, Siena- und Dunkelgelbtönen gehaltene Collage. Als Vertreter von König Georg III. und ganz England folgt er dem Emir von Ludamar ins Heiligtum der Königin.
Drinnen ist es dunkel, zwei Öllampen brennen angestrengt. Er sieht Wandteppiche, Matten, Urnen, eine Sitzstange, auf der zwei Raubvögel – Würgfalken – in aller Ruhe eine Wüstenspringmaus ausweiden. Der Entdeckungsreisende sieht sie in dem Moment, als der eine gerade ein langes Stück Darm erwischt hat und daran zu zerren beginnt wie ein Rotkehlchen an einem Wurm.
«Salaam aleikhem»
, sagt Ali, und da sitzt sie, auf einem Kissen so groß wie ein Doppelbett. Der Entdeckungsreisende ist wie vomDonner gerührt. Mit einer dicken Frau hatte er gerechnet, aber das hier … das ist unmöglich! Sie ist gargantuesk, elephantoid, ihr großer gebundener Turban und die schimmernde
jubbah
wie zwei Zirkuszelte, ihr Schatten tanzt und wogt in dem unruhigen Licht, bis er den gesamten Raum erfüllt. Ihre Dienerinnen – zwei Mädchen in wehenden Pluderhosen und eine uralte Frau – sitzen ihr zu Füßen wie Oliven, die in einem surrealistischen Stilleben um eine Melone gruppiert sind.
Mungo kann ihr Gesicht nicht erkennen, das hinter dem
yashmak
– dem Schleier aus doppelt gelegtem Haartuch, das Moslemfrauen in der Öffentlichkeit tragen – verborgen bleibt, doch ihre Füße und Hände beeindrucken ihn sofort. Klein und zierlich
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