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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Füßen legen, doch Mungo reißt sie ihm aus der Hand; er begräbt das Gesicht tief in die dicke, zähe Paste, mit der ganzen Verzweiflung eines Mannes, der vierzig Tage und vierzig Nächte lang der Wüste ausgesetzt war. Und genau das war er ja auch.
    Danach streicht er sich über seinen Bauch. «Johnson», sagt er. «Ohho, Johnson, Johnson, wie ich das gebraucht habe   …» Aber Moment mal! Was hat er getan? Die Schüssel ist völlig leergekratzt, und hier verschmachtet der treue Führer und Dolmetscher vor seinen Augen! «Johnson», stammelt er und schlägt den Blick zu Boden, «kannst du mir – kannst du mir je verzeihen? Ich habe mich da wohl eben ein wenig hinreißen lassen   … Ich – ich hab überhaupt nicht an dich gedacht.»
    Johnson winkt ab. «Ach, die haben mich doch durchgefüttert, machen Sie sich da mal keine Sorgen. Mußten sie ja. Sonst hätt ich mir bestimmt nicht so den Arsch für sie aufgerissen. Hol dies, flick das. Scheuer mal den Topf hier, melk die Ziegen da, dann noch Akbars Sandalen einfetten und ’n bißchen Rahm von der Milch schöpfen für diePferde. Scheiße. Wie wenn ich wieder auf der Plantage wär. Manchmal wünsch ich mir, einfach nur hier zu liegen und zusammen mit Ihnen zu schmachten.»
    Mungo streicht sich die klitschigen Klumpen aus dem Bart und leckt sich systematisch die Körner von den Fingern, dann nimmt er einen langen Zug aus dem Wasserbeutel. In seine Wangen sickert etwas Farbe zurück. «Also, was ist eigentlich los?» fragt er. «Wieso sind diese blöden Kameltreiber plötzlich so barmherzig?»
    «Fatima.»
    Fatima. Die Silben fließen wie Wind auf dem Wasser. Erst hat sie ihm die Augen gerettet, und jetzt den Rest. Hoffnung schimmert. «Sie will mich sehen?»
    Johnson nickt. «Ali sagt, Sie müssen etwas essen und gewaschen werden, damit Sie präsentabel sind. Er will ja nicht, daß seine Frau einen ungewaschenen Christen ansehen muß. Und das hier hat er mir auch mitgegeben.» Er reicht dem Entdeckungsreisenden ein blasses, gefaltetes Gewand.
    «Was ist das?»
    «Eine
jubbah
. Ali meint, Sie sollen Ihre Beine damit bedecken – Ihre Hosen findet er anstößig, erstklassiger Nankingstoff oder nicht.» Johnson lacht. «Wenn Sie je nach London zurückkommen, können Sie all die gelackten Beaus und Schönlinge stehenlassen und einen neuen Schrei kreieren: Der Gentleman trägt Röckchen.»
    Mungo lacht mit, trunken von Essen und Wasser. Die beiden kichern und prusten, wischen sich die Tränen aus den Augen. Dann blickt Johnson auf, plötzlich sehr ernst. «Sie kommt morgen abend», sagt er. «Versauen Sie’s bloß nicht.»

DAS LIED DER PLANTAGE
    An diesem Abend in der Sub-Sahara, der von fahlem Licht und spitzen Schatten durchflutet ist, kommt Mungo Park erstmals seit fast drei Monaten aus dem Zelt heraus und sitzt wieder im Sattel. Man hat ihm sein Pferd zurückerstattet (kachektisch wie ehedem, wie einer der ausgeweideten Gäule, die die Druiden zur Dekoration zu pfählen pflegten), er hat sich Bart, Locken und Lenden gereinigt und eingerieben und seine Lumpen gegen eine prächtige weiße
jubbah
eingetauscht. Auf dem Kopf sitzt sein ramponierter Zylinder; über seinen Schultern hängt das blaue Samtjackett, das er bei seiner Ansprache vor der Afrika-Gesellschaft in «St.   Alban’s Tavern» auf der Pall Mall getragen hat. Ali und Dassoud flankieren ihn auf ihren Schlachtrössern. Alis Pferd ist weiß, Dassouds ist so absolut schwarz, daß es ein Loch in den Horizont schneidet (eine Illusion, die er noch dadurch verstärkt, daß er dem Tier Hufe und Anus schwärzt und die Zähne dunkel färbt). Johnson bildet die Nachhut auf einem Somali-Wildesel.
    Ihr Ziel ist Fatimas Zelt am anderen Ende des Lagers, eine Entfernung von etwa siebenhundert Metern. Ali und Dassoud reiten schweigend, während Mungo mit gedämpfter Stimme ein paar Sätze aus seiner Arabisch-Grammatik übt: «Ich bin geschmeichelt, mich in Ihrer Gegenwart zu sonnen.» – «Erlauben Sie mir, Ihren Fußsohlen zu huldigen.» – «Ganz schön heiß heute, was?» Als sie das Zentrum des Lagers durchqueren, hecheln Hunde hervor, um an den Steigbügeln des Christen zu kläffen, Kinder versammeln sich, um ihn mit Klumpen von Kamelmist zu bombardieren, Erwachsene treten aus den Zelten, starren ihn verkniffen an und äußern sich abfällig über seine Rasse, Hautfarbe und Religion. «Ich pisse ins Loch deiner Mutter!» brüllt einer. Doch dann hebt Ali den Arm, und die Stimmenverstummen, die Hunde

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