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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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loderte. Ned gab seinen Geldbeutel ab und sah zu, wie der Zwerg aus dem Schatten herbeihinkte, Boyles auf der Straße Platz nehmen ließ und seine Lumpen mit der Spitze eines Dolches zu untersuchen begann. «Na hallo!» rief der Zwerg aus. «Was haben wir denn hier?» Es war der Kampfhahn, der an Boyles’ Brust nistete, Krallen und Schnabel mit blauem Band umwunden. Der Zwerg zerrte den Vogel aus dem Versteck, erdrosselte ihn mit einer Drehung seiner knotigen Hände und hielt ihn hoch, damit der Pistolero ihn bewundern konnte. «Da hätten wir schon mal was für den Kochtopf, was, Will?»
    «Gut gegeben, Ginger», knurrte der Pistolero. «Jetzt zieh dem Bettler die Hosen runter und kuck nach, ob er vielleicht noch ein paar Moneten drin hat.» Runter mit der Hose, rauf mit dem Hemd: innerhalb von zehn Sekunden war Billy Boyles pudelnackt. «Und jetzt du, schöner Mann», befahl der Pistolero.
    Ned appellierte an Mitgefühl und Sportsgeist des Wegelagerers. «Aber ich habe euch ja schon meine Börse gegeben», greinte er, «habt doch ein Herz mit mir, bitte.»
    «Ha!» lachte der Pistolero. «Denkste, ich weiß nich, wie sich’n Beutel Sand anfassen tut? Für was hältste mich denn, für’n verkorksten Pavian? Runter mit der Unterhose, Blödmann!»
    Das Spiel war aus. Ned ließ die Hosen runter, und da war er, glänzte im Mondlicht wie eine fluoreszierende Windel – der Streifen Musselin, vollgestopft mit der Tagesausbeute.Der Zwerg riß ihm den Stoff vom Bauch, und die Münzen prasselten auf die Erde. «Ohho!» jubelte er. «Diesmal ham wir wohl’n Hauptgewinn gemacht, was, Will?»
    Gerade als der Zwerg die letzten Münzen einsammelte, kam ein Vierspänner um die Ecke gerumpelt. Die Gauner rannten davon. Boyles kauerte im Adamskostüm an der Mauer, Ned dagegen wickelte sich schnell das Cape des Zauberers um die nackten Beine und winkte dem Wagen zu halten. «Ho!» rief der Kutscher. Quietschend und knarrend kam der Wagen zum Stehen. «Wir sind beraubt worden!» schrie Ned. Die Tür flog auf. In der Kutsche saß Sir Euston Filigree, Gerichtsbeamter und Züchter von Kampfhähnen. Daneben ein Polizist mit schußbereiter Pistole. «Na, so ein Zufall», sagte Sir Euston. «Ich bin ebenfalls beraubt worden.»
    «Einsteigen!» sagte der Polizist.
    «Drei Monate Zwangsarbeit», sagte der Richter.
    Man kann sich drauf verlassen: Sobald die Dinge einmal anfangen, gut zu laufen, sobald die Phantasie sich zumindest zur Möglichkeit verdichtet, mischt sich sofort die Hand des Schicksals ein und holt einen schlagartig in die Realität zurück. Schrecklich. Genug, um davon Paranoia zu kriegen. Ned nimmt noch einen Zug aus der Bong und blickt sich um wie ein Lamm auf einer Versammlung von Wölfen. Oben auf der Bühne nähern sich Jim, Sally und Nan langsam dem finalen Höhepunkt – eine unglaubliche, vielgliedrige, sehnenzerrende Glanzleistung der Sexualakrobatik, bei der Köpfe, Zungen und Hüften immer schneller durcheinanderwogen,
allegro di molto –
, die Zuschauer reißt es von den Stühlen, sie werfen Tische um und keuchen wie eine ganze Hundeschau Mitte Juli. Die Zeit bleibt hier stehen, tickt leise weiter am Rande der Erlösung, in herrlicher Harmonie mit den Funktionen des Körpers und der Bahn des Planeten – da fliegt plötzlich die Türauf, und die Stimme der Obrigkeit donnert durch den Raum: «HALTET EIN UND LASST AB IM NAMEN DES ALLMÄCHTIGEN UND IM NAMEN DER SITTLICHKEIT!»
    Der ondulierte Jüngling reagiert als erster. «Verdammte Scheiße! Die Gendarmerie!»
    «Eine Razzia!» schreit jemand, und ein Chaos bricht aus. Regimentskommandanten stolpern über ihre Säbel, Barone und Ladenbesitzer kollidieren, Geistliche krachen zu Boden, während Lebemänner, Gauner, Gecken, Stutzer, Beaus und Dandys dem Hinterausgang zustürzen, Ned Rise allen eine Länge voraus. Auf der Bühne zieht sich Jim aus Sally zurück, und Sally rutscht von Nan herunter, die ihrerseits Jim freigibt und nach ihrem Gin mit Wasser langt. «NEHMT DEN BESITZER FEST!» schnarrt ein Polizist, und Ned, der sich am Ausgang noch einmal umdreht, sieht den armen Smirke im festen Griff von zwei stämmigen Bullen. «Der da war’s!» brüllt Smirke und richtet einen Wurstfinger auf den Veranstalter, als der sich gerade durch die Tür zwängt. «Der Clown mit dem Cape!»
    «IHM NACH, LEUTE!» dröhnt der Einsatzleiter.
    Ned ist schon auf der Straße, schnellt davon wie ein Fuchs beim ersten fernen Hundegebell, überholt Gecken und Stutzer, als stünden

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