Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
bekommt es mit der Angst. In dem panischen Versuch, das Tier loszuwerden, duckt er sich direkt zu dem Pinselschwein hinunter, das auf diese Gelegenheit nur gewartet hat. Blitzschnell schießt es vor und versetzt ihm in rascher Folge mehrere brutale Bisse. Im Verlauf des folgenden Durcheinandersgelingt es Mungo irgendwie, das halbe Zelt einzureißen und schließlich quer über dem voluminösen Königinnenschoß zu landen. Der nubische Eunuch tritt vor, um das Schwein mit einem Hieb seines Krummsäbels zu köpfen, während Einauge und die Pluderhosenmädchen sich abmühen, den dreckverschmierten und blutenden Entdeckungsreisenden vom Leib der Königin zu entfernen. Durch all das erklingt eine Melodie, denn Johnson hat seine Stimme zum Gesang erhoben – es klingt wie eine Klageweise, düster und niedergeschlagen, einer dieser alten Plantagengesänge, die Johnson immer gerne als «Blues» bezeichnet.
    «Jetzt haben Sie’s versaut», singt er. «Völlig versaut. Herr im Himmel allmächtig, er hat es versaut.»

OH DIESES GEFÜHL SO FLAU
    Februar 1796.   Wordsworth kennt Frankreich und Annette Vallon von innen und außen, Bonaparte hat Babeuf ausgebootet und hämmert jetzt energisch an Joséphinens Tür, Goethe lebt in Sünde mit Christiane Vulpius, Robert Burns liegt im Sterben. In Edinburgh kämpft Walter Scott eine verlorene Schlacht um die Hand von Williamina Belches, während in Manchester ein rotznäsiger De Quincey durch die Straßen zieht und sich fragt, was eine Hure ist. In Moskau schneit’s. In Paris stopft man Schlaglöcher mit Assignaten, weil sie sonst ohnehin zu nichts gut sind. Und in Soho, in der «Wühlmaus», wird gelutscht und gevögelt. Live auf der Bühne.
    Ned könnte nicht zufriedener sein. Jutta Jim legt sich seit einer guten Stunde mächtig ins Zeug (abgesehen von zwei kurzen Pausen, in denen er Stammeslieder intoniert und einen halben Liter Hühnerblut geschlürft hat, um in Stimmung zu bleiben), Nan und Sally haben ihre Rollen in bewundernswerter Weise breitgewalzt, und das Publikum ist viel zu gefesselt, um Krach zu schlagen oder auf denTeppich zu pissen. Dazu kommt noch, daß Neds Kehle, Gliedmaßen, Leber und Augenlicht seit über einer Stunde nicht mehr bedroht worden sind (Smirke läuft die ganze Zeit mit einem Ständer herum und verscheuert Drinks wie ein Oasenbesitzer in der Wüste, und Mendoza sagt keinen Piep mehr, seit Jim auf die Bühne stolziert ist) und daß seine Bruttoeinnahmen die rosigsten Schätzungen weit übertreffen (fast dreiundsechzig Pfund, bei Auslagen in Höhe von dreiundzwanzig und zwei Shillings, wobei der neue Anzug, Trinkgelder und Erfrischungen für sich selbst und sein Ensemble schon inbegriffen sind. Und alles liegt warm und sicher verwahrt in der Hosenbeutelbank.
    Also wozu diese Unruhe? Er hat schon anderthalb Flaschen Gin und drei Pfeifen intus, und er ist zweiundzwanzigmal im Zimmer auf und ab gelaufen, aber immer noch ist er so fickerig, als läge er im Rattenbißfieber. Er begreift es selbst nicht. Jetzt bekommt er sogar ein Jucken im fehlenden Gelenk des kleinen Fingers. Tief im Innersten weiß er die Antwort natürlich schon – es läuft einfach alles zu gut. Und das heißt, er sollte besser abhauen, verduften und flitzen, denn immer wenn die Dinge mal anfangen, zu gut zu laufen, kommt der Moment, wo die Höheren Mächte auf einen herabstürzen wie ein Dutzend Tornados, und am Ende liegt man unter einer halben Tonne Treibgut und Schutt begraben.
    Das Ganze erinnert ihn an den Abend auf der Bartholomew Fair, als er und Billy Boyles am Spieltisch einfach jedesmal gewannen, als sie gratis zum Vögeln mit zwei Schnepfen kamen und zum Schluß noch irgendwo einen Champion von Kampfhahn mitgehen ließen, der leicht seine fünfzig Eier wert war. Und gerade als sie mit ihrer Beute vom Rummelplatz schlichen, da sah er es: das sternenübersäte Cape von Zeppo dem eleusinischen Magier – es hing da einfach zum Trocknen auf der Leine wie ein Geschenk der Götter. Boyles bog in eine unbeleuchtete Gasseein, und natürlich passierte es: Zwei Banditen lauerten ihnen auf. «Stehenbleiben und her damit!» knurrte eine Stimme, und Ned stellte fest, daß ein Pistolenlauf in seinem Ohr steckte. «Ich nehm dir nur eben das viele schwere Kleingeld ab», krächzte die Stimme, «und inzwischen schröpft mein Komplize da deinen Kumpel.»
    Der Komplize war ein Zwerg, kaum einen Meter groß, mit einer karottenroten Tolle, die ihm wie ein Buschfeuer um Wangen und Scheitel

Weitere Kostenlose Bücher