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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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sie auf der Stelle still, der Gin macht ihn federleicht, seine Füße fliegen, das Cape flattert von seinen Schultern wie die Schwingen der Furien. Da sie in ihren hochhackigen Pumps nicht fliehen können, sind die Gecken und Stutzer leichte Beute für die verfolgenden Polizisten – die gefürchteten Sprinter vom Revier Bow Street – und bedenken Neds kleiner werdenden Rücken mit Flüchen: «Du schleimige Kakerlake, Rise – dafür wirst du bezahlen!»
    «An den Galgen kommst du!»
    «Den Arsch reißen wir dir auf!»
    Ned schenkt ihnen keine Beachtung. Er geht völlig auf in der wahnsinnigen, puren Ekstase der Flucht, der erstaunlichenKoordination von Herz, Lunge, Gelenken und Füßen, in jenem furchteinflößenden Schwung, der vom Alkohol gespeist und von der Panik angetrieben wird. Die Straße hier links hinunter, über die Pflastersteine – nur nebelhafte Flecken – und hinein in die dunkle Gasse auf der anderen Seite. Die Schreie und Flüche werden jetzt leiser, fast in Sicherheit. Aber was ist das? Schnelle Schritte hinter ihm, regelmäßig wie ein Schlagzeugrhythmus. Er sieht sich um, und ein eisiger Dolch fährt ihm in die Rippen: zwei verbissene, athletische Läufer biegen gerade in die Gasse ein, kaum außer Atem sind sie, verfolgen ihr Ziel selbstsicher im leichten Trott der Marathonläufer. Gütiger Gott, er hat keinerlei Chance. Diese Bow-Street-Sprinter sind unerbittlich, unermüdlich. Angeblich holen sie sogar berittene Männer ein.
    Er gibt sein Letztes, steuert auf den Fluß zu. Sein Brustkorb platzt fast, in seinen Lungen brennt Feuer, die schweren Münzen bohren sich ihm in den Schritt. «STEHENBLEIBEN IM NAMEN DES GESETZES!» Niemals. Das Gesetz ist ein Witz, und nur Verlierer lassen sich erwischen. Seine Füße klatschen aufs Pflaster. Jetzt nimmt er die Kurve und ist in der Villiers Street – und da ist der Fluß! Wenn er nur die Deckung der Docks erreichen und auf eines der Schiffe springen kann   … aber sie kommen näher, die verfluchten Sportskanonen, und
kling-ling
fallen die ersten zwei Münzen heraus. Er beißt die Zähne zusammen. Legt noch einen Zahn zu. Und dann hört er plötzlich die Bretter von Charing Cross Pier unter seinen Füßen, kein Ausweg mehr, die Sportskanonen dicht auf seinen Fersen – eine Hand packt ihn am Kragen – und dann ist er frei, segelt durch die feuchte Nachtluft. Eine Eisschicht empfängt ihn, die Münzen sind wie ein Bleigürtel, das Wasser eine eisige Keule. PLATSCH! Und weg ist er.
    Die Sprinter stehen am Rand des Hafenbeckens und sondieren die Schatten. Das Eis ist schwarz wie Schiefer,das Wasser dunkel. Nichts rührt sich. «Tja, Nick, das war’s dann wohl», sagt der härtere der beiden.
    «Hast recht, Dick», kommt die Antwort. «Fall erledigt.»

NEUE KONTINENTE, URALTE FLÜSSE
    Doch er hatte es nicht versaut. Absolut nicht. Tatsächlich stellte sich heraus, daß die Königin keineswegs abgeneigt war, einen schweinefleischfressenden Albino im Schoß zu haben – auf unerfindliche Weise war er ihr dort wohl sogar willkommen. Die erste Vorahnung davon bekam der Entdeckungsreisende fast im selben Moment. Als er so dalag, betäubt und blutend, gebettet im bebenden, flüssigen Strom ihres Schoßes, wie ein Schiff, das den Heimathafen angelaufen hat, kam es ihm vor, als spürte er eine Regung tief in ihrem Innern. Ein Wogen, eine Dünung. Ein Kräuseln so leicht und unvermeidlich wie die Ringe, die sich auf einem Teich ausbreiten, wenn ein Stein seine Oberfläche gestört hat. Lachte sie? Kicherte sie etwa tief im Zentrum dieser wunderbaren Fleischesfülle? Hatte er trotz allem bei ihr landen können? Leider bekam er keine Gelegenheit, es herauszufinden, denn schon schlug draußen Dassoud, Mordgier im Blick, wie wild auf die eingestürzte Zeltbahn ein. Mungo nabelte sich rasch von der Königin ab und folgte Johnsons Beispiel, indem er die Stirn auf den Boden knallte.
«La illah el allah»
, intonierte er als Geste der Wiedergutmachung.
«Mahomet rassul Allahi.»
    Man hörte das Sirren von reißendem Ziegenhaar –
sst! ssp! sswt! –
und Dassoud kam ins Zelt gefegt, wutentbrannt bei dem Gedanken, die Königin sei in Gefahr, und lechzend nach einem Vorwand, rasch und rächerisch Vergeltung zu leisten. «Aaaarrr!» brüllte er und schwang sein entsetzliches schnelles Schwert – doch dann blieb er abrupt stehen.Was ging hier eigentlich vor? Die Dienerinnen waren total hysterisch, die Zeltstangen eingestürzt, überall Blut verspritzt und im ganzen

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