Wassermusik
wendet er sich mit dem nächsten Stück Fleisch wieder dem Feuer zu. «Wir brechen in einer Stunde nach Dscharra auf.»
Mungo ist wie vom Donner gerührt. Nach Dscharra! Aber das liegt ja an die siebzig Meilen südlich! Seit Wochen, in denen die Zeit des Monsuns und Alis Rückzug nach Norden immer näher rücken, fleht der Entdeckungsreisende Fatima an, ein gutes Wort für ihn einzulegen – seine Freilassung zu erbitten, oder zumindest die Erlaubnis, daß er kurze Ausflüge von Benaum aus machen dürfe. Ihm schaudert kurz bei dem Gedanken daran, was man mit ihm gemacht hätte, falls er immer noch Gefangener gewesen wäre, wenn Ali seine Herden und Zelte und Pferde für die allsommerliche Wanderung an die Ränder der Großen Wüste bereitmachte. Sie hätten ihn abgehäutet und ausgeweidet. Ihm die Kehle durchgeschnitten. Ihn draußen auf den Dünen gepfählt, damit er eintrocknete wie eine Dörrfeige. Seine Knochen würden in der Sonne bleichen wie die traurigen Überbleibsel der Sklaven, von denen Johnson erzählte, wie Houghtons Knochen, die im Laufe der Jahre zerfallen waren, nicht mehr irisch, keltisch, kaukasisch – nur noch Knochen, die Knochen eines Menschen, oder auch eines Tieres. Ganz kurz hat er das Bild seines eigenenSchädels vor Augen, blankgeputzt vom Wind, halb im Sand vergraben, und eine Tüpfelhyäne schleicht sich verstohlen heran, mit ausdruckslosem dummem Glotzen, hebt gemächlich das Bein, um in die leere Augenhöhle zu pissen. Der Entdeckungsreisende blinzelt, schüttelt den Kopf, wie um sich von dem Bild zu lösen – und dann wird ihm klar, daß ihn alle beobachten. Dscharra! Er grabscht nach dem Saum von Alis Burnus, will ihn eigentlich küssen, aber Dassoud schlägt seine Hand weg.
«An’ am Allah’ alaik»
, bringt Mungo hervor und dankt dem Emir überschwenglich in einem Schwall von Knicksen und Dienern. Ali sitzt reglos wie ein Stein, starrt ins Feuer und kaut.
Man sagt, wenn ein Sahel-Maure stirbt und sich inmitten der sengenden Flammen der Hölle wiederfindet, dann kehrt sein Geist unweigerlich auf die Erde zurück – um sich eine warme Decke zu holen. Mungo kann das nachvollziehen. Sie sind jetzt knapp acht Stunden unterwegs, und die Sonne steht direkt über ihnen. Es sind mindestens sechzig Grad im Schatten – wenn es irgendwo Schatten gäbe. Die Kreaturen, die hier leben – der Goldmull und die weiße Walzenspinne, diverse Käfer, beißendes und stechendes Geziefer, Skorpione, Eidechsen und Maulwurfsratten –, haben sich natürlich tief in den Sand eingegraben. Mungo dagegen, mit seinem Filz-Zylinder, den Hosen aus Nankingseide und dem blauen Gehrock, ist draußen in der Sonne, auf der Reise, und die dicken Bündel seiner wiedererstatteten Tauschwaren klappern auf seinem Rücken. Sein Weg ist begrenzt von Gestrüpp und Kakteen, Nachtschatten- und Wolfsmilchgewächsen, eine Landschaft von allerzartestem Grün und Tausenden von Braunschattierungen, von khaki über ekrü bis rostrot. Die Hügel sind fahl und kahlgefegt, geriffelt wie Überreste vorsintflutlicher Bestien, die sich bis zum Horizont erstrecken. Es gibt Paviane in diesen Hügeln, mit Purpurärschen und Kurzhaarschnitt,kurzen Brauen und langen Zähnen. «Jiik-a-jiik-a-jiik!» kreischen sie. «Tschip-tschip-tschip!»
In einem Monat wird hier alles ergrünen. Es wird Flüsse, Teiche und Pfützen geben. Tödliche Kobras werden das Gras teilen, Seit an Seit mit Puffottern und Haubenechsen, die man hier «Morgen-kommt-nimmermehr» nennt. Steppenducker werden auftauchen und von Schatten zu Schatten huschen, Schuppentiere, Buschböcke, Wüstenluchse und Gürtelschweife. Nimmersatt-Störche, hager wie Flüchtlinge, Sekretäre mit ihren zausigen Schöpfen und Habichtsbeinen und der Vorliebe für einen kaltblütigen Lunch. Mendesantilope, Wasserbock, Elen und Oribi. Mähnenschafe, Gazellen, Mhorrs und Mambas. Hartebeest. Wildesel. Ratten so groß wie Ferkel …
Doch einstweilen ist es noch reichlich leer. Und trocken. So trocken, daß das Sattelleder stöhnend platzt, Haare wie Blätter fallen, Urinströme mitten im Bogen verdunsten. Bei so was wird die Arbeit des Entdeckens auf die elementarste Stufe runtergeschraubt.
Als er am Ende des großen Mahagoni-Tisches im «St. Alban’s» saß und in die leidenschaftlich geröteten, schnurrbärtigen Gesichter der Afrika-Gesellschaft starrte, hätte der Entdeckungsreisende sich nie träumen lassen, daß es je so werden würde – so verworren, so entwürdigend. Und
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