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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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so heiß. Er hatte sich auf einem prächtigen Rappen vorgestellt, mit frisch gebügeltem Rock und schneeweißem Linnen, an der Spitze eines Trupps einheimischer Kanaken und Halbintelligenzler und Könige, die er zu den grünenden Ufern des legendären Stroms fuhren würde. Doch nun ist er da, nicht an der Spitze, sondern irgendwo am hinteren Ende der Schlange, die sich auf ihrem Weg durch all diese Dürre windet, ein Gefangener in jedweder Hinsicht, sein Pferd keucht und furzt die ganze Zeit, die Unterwäsche klebt ihm wie angebacken zwischen den Beinen. Gibt es denn keinen Sinn für Proportionen mehr auf der Welt?
    Eine halbe Meile voraus ein schwarzer und ein weißer Fleck, wo Ali und Dassoud auf ihren Streitrössern über die Ebene gleiten. Die zweihundert Elite-Kavalleristen, die auf wahren Panthern und Löwen von Pferden sitzen, schwärmen meilenweit hinter der Kolonne aus. Die jüngeren und enthusiastischeren Reiter machen Vorstöße ins Gestrüpp, um den einen oder anderen Waran oder Sandskink aufzustöbern, hier einen Busch und dort eine Sukkulente abzuhacken. Für die anderen ist das Ganze trotz der Hitze nichts weiter als eine Party zu Pferde. Dauernd reichen sie Pfeifen und
guerbas
herum, erzählen sich dreckige Witze über Kamele und Schleier und Jungfrauen, lassen die würdevollen Hügel von explosionsartigem Gelächter erzittern.
    Der Entdeckungsreisende dreht den Kopf, um die Szene hinter sich zu begutachten, wobei er sich fragt, ob er einer Militärexpedition oder einer Fuchsjagd beiwohnt, als plötzlich ein Blinken in weiter Ferne seine Aufmerksamkeit erregt. Es ist Johnson auf dem Rücken seines traurigen Wildesels (das Tier fällt besonders durch die kummervolle Länge von Schnauze und Ohren auf), der gerade seinen Weg über den Rand des Horizonts nimmt. Der Entdeckungsreisende hebt den Arm und winkt. Und da! – die Ferne und die sich kräuselnden Wellen der heißen Luft verlocken zu der Bewegung   – Johnson winkt zurück!

ÄOLISCHES INTERMEZZO
    Der Ort Dscharra besteht aus tausend Rutenhütten, es können auch ein paar mehr oder weniger sein. Er liegt knapp südlich des Sahel, an der Grenze von Ludamar, Kaarta und Bambarra. Man nähert sich ihm durch eine Reihe von sanften, hefigen Hügeln, die sich aus der Steppe erheben wie Blasen im Rührteig. Zu dieser Jahreszeit sind die Hügel mit den Pockennarben von geschwärztenStümpfen übersät, die Konsequenz der Philosophie von Niederbrennen-und-Wiederbeackern der Dorfbewohner. Vor einem Monat loderten hier überall Feuer. Flammenstreifen blitzten aus dem dunklen Erdboden empor, aufgewühlte Qualmwolken verdüsterten den Himmel. Für die Ratten war es besonders hart. Wie wandernde Lemminge schwärmten Legionen von ihnen vor dem Holocaust davon und kamen dabei dem gesamten versammelten Dorf in die Quere. Die Dscharraner schwangen Harken und Hacken und Knüttel und zermalmten die Ratten wie feuchten Ton. Sie ernteten Blut.
    Dies sind die Weidegründe, da und dort von dichten Gehölzen durchsetzt – Schihbutterbaum, Kapioka, Doumpalme, Akazie und der Nittabaum mit seinen keulenförmigen Blüten. Dahinter erstrecken sich bebaute Felder rund um die Dorfmauern wie die offenen Handflächen schlafender Riesen, beackert und gefurcht liegen sie geduldig da und warten darauf, die ersten zagen Tropfen aus dem Himmel aufzusaugen. Auch einen Fluß gibt es – den Wubah, der jetzt aber nur aus einer Kette von Pfützen besteht, in denen Schwänze und Schuppen brodeln. Er taucht verschämt aus dem Wald hervor, schlängelt sich durch das Dorf wie ein Trunkenbold und verschwindet dann im Weideland dahinter. Der Rest entspricht den Erwartungen. Staubige Straßen, ausgemergeltes Vieh, Frauen mit gehetztem Blick und Kinder mit aufgedunsenen Bäuchen und vor Hunger gebleichtem Haar. Dies sind die härtesten Zeiten, die langen Tage vor dem Regen, die sich dahinziehen. Die Euter trocken, die Kornvorräte verdorben – sogar die schalen Nitta-Schoten gehen langsam zur Neige.
    Ali und sein Gefolge donnern auf die Bühne wie ein weißes Staubgewitter, mit grimmigen Gesichtern und schwarzen Bärten, wild und sehr von sich eingenommen. Dörfer wie dieses sind Freiwild für die Mauren – denn hier leben Kaffern, Ungläubige, und erstens ist es die heiligePflicht aller guten Muselmanen, Allahs Wort zu verbreiten, zweitens sind die Kaffern bekanntermaßen schwach in Selbstverteidigung. Daher also Freiwild. Die schwarzen Analphabeten von Dscharra – größtenteils Mandingos

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