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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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allerliebst?» und geht an einem alten Weib vorbei, das sich schluchzend und jammernd an der Tür ihrer Hütte festkrallt, während zwei Männer an ihren Armen reißen. Mit dümmlichem Grinsen läßt er sich vom Strom der Menge treiben, in der Kinder nach Müttern brüllen, Krüppel im Staub herumwühlen und Frauen wie wild Proviant für den Marsch einsammeln. Sein Plan ist es, Pferd hin, Pferd her, zusammen mit den Flüchtlingen ostwärts zu ziehen – nach Bambarra. Und zum Niger.
    Am Dorfende holt ihn sein Gewissen ein, und plötzlich ist er vollauf beschäftigt, Kinder zu schleppen, Tragenvollzupacken, Korn aufzuladen, Ziegen zu schubsen. Die Dscharraner sind viel zu hektisch und durcheinander, um lange zu überlegen, akzeptieren seine helfende Hand und Schulter und blicken dann zu ihm auf, als wäre er durchsichtig. Hier eine Kuh, dort ein vermißtes Kind, Frauen und Männer auf der Straße vereint, so setzt sich der Zug in Bewegung – passiert das Osttor, durchwatet den Wubah, kämpft sich zum Kamm des fernen Hügels empor, während die Siedlung entvölkert hinter ihm zurückbleibt. Gerade ordnet sich alles ein wenig, die Nachzügler schließen auf, die Klageweiber und Schreihälse kommen endlich außer Atem, als plötzlich ein furchteinflößendes Gerücht aufkommt und sich rapide fortpflanzt: Gleich ist Sego da! Sego! Alle verstummen, sind wie gelähmt, während sich ein dralles Weiblein mit Kopftuch durch die Menge schiebt und Neuigkeiten verkündet: «Letzte Nacht hat er Wassibu niedergebrannt! Kinder gegrillt! Blut geschlürft!»
    Diese Information läßt Gestöhne und erstickte Schreie aufkommen, die in einem langen, gellenden kollektiven Quieken münden, wie bei Schweinen, die den Schlachtklotz riechen. Dann rennen sie los wie beim Startschuß für ein Marathon: Füße und Hufe fliegen nur so, Staubwolken wirbeln auf, daß sich die Sonne verfinstert. «Das ist also Massenhysterie», denkt Mungo leicht distanziert, bis es ihn schlagartig, als führe er aus einem Fall-Traum hoch, ebenfalls packt. Seine Pupillen weiten sich, der Atem kommt in kurzen Stößen. Und auf einmal rennt auch er, stürmt davon wie ein verschreckter Gaul, reißt die Lahmen und die Kranken beiseite, stößt Tiere aus dem Weg, kämpft verbissen um eine bessere Position. Als ihm einfällt, sich umzublicken, liegt das Hauptfeld längst hinter ihm, und er keucht den Hügel hinauf, vorbei an den flinkesten Teenagern, an leichtfüßigen Dauerläufern und Speerträgern; er rennt um sein Leben, er rennt um seine Freiheit, er rennt, was er kann.
    Aber dann kommt er um eine Kurve und bleibt wie vom Donner gerührt stehen – wie ein Koloß sitzt dort auf seinem Hengst Dassoud, das Pferd des Entdeckungsreisenden am Zügel neben sich. Hinter ihm hockt Johnson mit kummervoller Miene auf seinem kummervollen Wildesel und zuckt die Achseln.
    Dassoud deutet auf den wartenden Sattel, dann zieht er den Krummsäbel aus dem Gürtel und zeigt damit nach Norden – in Richtung Benaum.
    «Besser, Sie klettern an Bord», sagt Johnson.
    Der Entdeckungsreisende zögert, wie niedergeschmettert. Ringsherum gellen die Schreie der Flüchtlinge; sein Atem beruhigt sich gar nicht mehr.
    «Ich sag’s Ihnen, Mr.   Park, der meint es absolut ernst.»
    Wie auf dies Stichwort teilt Dassoud mit einem titanischen Sausen des Schwerts die Luft. Etwas wie ein Grinsen kräuselt seine Lippen.
    Mungo steigt auf.
     
    Eine Stunde später, meilenweit von der Straße nach Bambarra entfernt, tasten die drei Reiter sich gerade einen felsigen Abhang hinab, der mit Gerippen von Oryxantilopen und Buschböcken übersät ist, als Johnson plötzlich in seine Toga greift, eine silberne Duellpistole hervorzieht und Dassouds Rappen eine Kugel ins linke Auge setzt. Das Pferd bäumt sich auf, schlenkert den Kopf nach rechts und links, als wollte es Ohrenschmalz herausschütteln, und bricht dann über dem Oberschakal zusammen. «Los, machen wir uns auf die Socken!» ruft Johnson und peitscht wie ein Wahnsinniger auf seinen Esel ein, während Dassoud schwerfällig unter dem toten Pferd hervorkriecht. Der Entdeckungsreisende läßt sich das nicht zweimal sagen. Er bohrt die Fersen tief in Rosinantes Flanken, und das Tier fällt in einen halbherzigen Galopp, wobei es keucht und gurgelt wie ein Blasebalg voll Wasser. Inzwischenlegt Dassoud Sandalen und
jubbah
ab, macht ein paar Rumpfbeugen und rennt ihnen dann nach, den Krummsäbel zwischen die Zähne geklemmt.
    Johnson holpert auf dem

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