Wassermusik
störrischen Esel über die Felsbrocken dahin, Mungo treibt seinen stolpernden Gaul immer wieder an. Vor ihnen liegt eine endlose Ebene mit vereinzelten Büschen. Hinter ihnen setzt Dassoud wie ein Panther über alle Hindernisse. «We-wenn wir es bi-bis auf die Ebene schaffen, ha-haben wir ihn ab-abgeschüttelt», schreit Johnson. Mungo hält sich fest und betet. Dassoud ist nicht mehr als sieben Meter hinter ihnen, er rennt wie ein Ladendieb. Noch vier – noch zwei Meter – doch jetzt dröhnt glatter, fester Boden unter den Hufen, und der Abstand vergrößert sich allmählich wieder. Dassoud fällt auf zehn Meter zurück, dann auf fünfzehn, und Mungo bricht in Jubel aus. Johnson wirkt besorgt. «Warum so miesepetrig?» ruft ihm der Entdeckungsreisende zu.
«Haben Sie gesehen, wie dieser Kerl rennt?»
Mungo wirft einen Blick über die Schulter. Dassoud ist jetzt schon fast hundert Meter zurückgefallen. Sein Gesicht ist starr, sein Blick glitzert bohrend. Ein nackter Mann mit Muskeln wie eine Statue, der gegen sein Herz und seine Lunge, gegen die Sonne und die weite Ebene anrennt. «Na und?»
«Der wird uns einholen, ganz einfach.»
Das Pferd des Entdeckungsreisenden schaltet von Kantergalopp auf Trab zurück, es stolpert von einem lahmen Bein aufs andere, die Satteltaschen klappern wie Rumbakugeln. Der Esel dreht den Kopf und schnappt nach Johnsons Knie. Mungo ist auf einmal äußerst beunruhigt. «Mach dich nicht lächerlich», sagt er. «Wir sind doch beritten.»
Schweigend trotten sie dahin. Dassouds Arme sind wie Pleuelstangen. Er hält jetzt konstant die hundert Meter Abstand. Die Sonne brennt erwartungsgemäß wie ein frisch angeheizter Schmelzofen.
Mit traurigem, leidvollem Blick blinzelt Johnson zu Mungo hinüber. «Wollen Sie damit sagen, daß Sie die Geschichten über diesen Irren noch nie gehört haben?»
«Achhhh», macht das Pferd und verlangsamt zu einem zügigen Paßgang. Der Esel schwankt nebenher, die Ohren wackeln. Klappaklapp, klappa-klapp, klapp.
«Nein», antwortet Mungo, dem irgend etwas den Unterleib zusammenschnürt. «Hab ich noch nicht gehört.»
DASSOUDS GESCHICHTE
Geboren wurde er in As-Sawiya, an der libyschen Mittelmeerküste, als dritter Sohn eines Berbersultans. Mit sechs geriet er in eine Stampede. Eine Viertelstunde lang trampelten die scharfen schwarzen Hufe auf ihm herum. Er bekam nicht einmal blaue Flecke davon. Im Alter von vierzehn begleitete er seinen Vater auf eine Strafexpedition gegen die Debbab-Araber. Die Araber lagerten in der Oase Al-Asisiya, ihre Feuer flackerten überall auf der Ebene wie ein abgestürztes Sternbild. Dassoud war mit vierzehn schon über eins dreiundachtzig groß. Der Feuerschein war gespenstisch, dann gellten die Schreie der Frauen. Einer ging mit dem Spieß auf ihn los. Er trennte dem Mann mit einem Krummsäbelhieb das Bein vom Körper, zerschmetterte ihm dann das Schlüsselbein und schlug ihm den Kopf ab. Zur Vergeltung spritzte ihm sein Gegner Blut ins Gesicht. Dassoud machte einen Satz nach hinten, ganz schockiert und benommen, sein Puls pochte, der scharfe, salzige Geschmack von Blut lag auf seinen Lippen … dann wollte er mehr davon. Zwei Tage später wurde sein Vater getötet. Sechzehn abtrünnige Debbab ritten über die Wüste zu der kahlen Hochebene Al-Hammada Al-Hamra davon. Dassoud verfolgte sie. Einer nach dem anderen starben sie in jener Nacht.
Als er zwanzig war, führte er eine Karawane durch dieGroße Wüste. Ihr Ziel war Timbuktu am Niger, sechzehnhundert Meilen weiter südlich. Es war eine schwierige Unternehmung. Sandstürme verschluckten sie, Kamele verdursteten, Brunnen trockneten aus. Als sie Ghad erreichten, waren sie fast um die Hälfte dezimiert. Die Sonne ließ den Horizont wabern, Dünen rollten in den Himmel hinein wie Wogen auf einem eisernen Meer. Als die Brunnen von Tamanrasset ihnen die Labung versagten, fielen sie übereinander her. Dassoud war eins dreiundneunzig groß und wog hundertsieben Kilo. Er gehörte zu denen, die es überlebten. Die anderen zwölf scharten sich um ihn. «Wir versuchen, bis nach Taoudenni im Norden von Ludamar zu kommen», sagte er. «Das ist unsere einzige Chance.»
Die Oase von Taoudenni lag in einer Senke zwischen Basalthügeln, die sich aus dem Sand erhoben wie die Backenzähne eines halbverschütteten Riesen. Seit den Tagen des Propheten war es die wichtigste Wasserstelle auf dem Weg von Tamanrasset nach Dscharra. Die Quellen galten als unerschöpflich. Als die Karawane
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