Wassermusik
Mungo.
Der Tag neigt sich, Johnson ist mürrisch und schweigsam, dem Pferd des Entdeckungsreisenden rinnt Blut aus denNüstern, und Dassoud verfolgt seine Beute mit der eisernen Entschlossenheit eines Wolfs. Der Gaul wird zum Problem. Der Entdeckungsreisende hat ihn soweit geschont wie möglich, indem er immer mal wieder abgestiegen und ein bis zwei Meilen zu Fuß gesprintet ist, doch trotz all seiner Bemühungen steht das Vieh schon den halben Nachmittag hart am Rande des Kollapses – einmal hat er ihm den Schwanz in Brand setzen müssen, damit es weiterging. Johnsons Esel hält sich nicht viel besser, täuscht Lahmheit vor, bockt und beißt, schreit wie eine Dampforgel. Kein Zweifel – es ist nur eine Frage der Zeit, bevor eines der Tiere aufgibt und Dassoud sie einholt. Und dann: adieu, Niger, adieu, Afrika, gehabt euch wohl, ihr irdischen Plagen.
Aber gerade als die Lage am düstersten ist, juchzt Johnson auf wie ein schiffbrüchiger Matrose, der einen Mast am Horizont erspäht. «Sehen Sie doch!» jubelt er. «Da vorne, hinter den Bäumen!» Der Entdeckungsreisende folgt seinem Blick. Wie ein nachlässig vernähter Saum schlängelt sich da über den bewaldeten Hügel vor ihnen die Straße nach Bambarra. Doch was ist das? Eine Rauchsäule scheint auf der Straße entlangzutreiben, ihr spitz zulaufendes Ende bewegt sich schon weiter vorn. Anfangs denkt der Entdeckungsreisende an Straßenkehrer – Tausende von Straßenkehrern, die dort die Piste fegen, aber dann kommt es ihm wie eine Erleuchtung: die Flüchtlinge aus Dscharra! Sie sind im Kreis geritten! «Johnson!» ruft er aus. «Du bist ein Genie!»
Die neue Entwicklung ist allerdings auch Dassoud nicht entgangen. Der Oberschakal legt noch einen guten Zahn zu, stürzt vorwärts wie ein Sprinter knapp vor dem Zielband. Der Abstand verkürzt sich auf fünfzig Meter, dann auf vierzig, Johnson prügelt seinen Esel, Mungo peitscht auf das Pferd ein, der Abstand verkürzt sich auf dreißig Meter. Dann tut Johnson etwas Merkwürdiges. «Alter Mandingo-Trick», schreit er, stopft sich das rechte Eselsohrin den Mund und schlägt die Zähne hinein, als bisse er in ein gut durchgebratenes Kotelett. Der Esel kreischt auf, bockt zweimal und rast dann davon wie eine dreijährige Stute beim Steeplechase. Mungo macht es ihm nach, das Ohr des Pferdes fühlt sich an wie ein Filzband auf der Zunge, und er beißt zu, bis er Blut schmeckt. Und tatsächlich, der alte Gaul erwacht wieder zum Leben, galvanisiert seine letzten Reserven zu einem wilden Gewirbel von Fesseln und Hufen.
Johnson und Mungo, Esel und Gaul zischen wie Raketen über den Felsboden, durch ein paar Bäume und auf die Straße hinauf, wo Johnson den gespenstischen Figuren, die sich da aus dem Staub schälen, auf mandingo etwas zubrüllt. Dann wirft sich der Esel in die Menge, Nacken an Nacken mit dem Pferd des Entdeckungsreisenden. Müde Flüchtlinge hüpfen beiseite, die Hufe donnern auf die Straße, Kinder fliegen durch die Luft. Im nächsten Moment kommen die Reiter auf der anderen Seite des Zuges heraus und galoppieren nun parallel zur Straße weiter. Johnson tritt auf den Esel ein, seine Ellenbogen rudern, als wollte er gleich abheben, die Bäume verschwimmen, und der Entdeckungsreisende versucht verzweifelt, Schritt zu halten. «Jetzt!» brüllt Johnson, und wieder tauchen sie in die Talkumwolke ein. Diesmal werfen sie eine Sänfte um und rempeln einen Dorfältesten nieder, der einen geschnitzten Götzen unter den Arm geklemmt hält. Die ganze Zeit über quasselt Johnson auf die verdutzten Leute ein: «Haltet ihn auf! Laßt den Mauren nicht durch!» Noch zwei weitere Male queren sie in halsbrecherischem Tempo von einer Seite zur anderen, hinter sich wirbelnde Kiesel und eine aufgedröselte Staubwolke, bis Johnson von der Straße abbiegt und in den Wald eintaucht, der Entdeckungsreisende dicht auf seinen Fersen.
«Pssst!» warnt Johnson, während er in einem Gewirr aus Kletten und glänzenden schwarzen Dornen absteigt.Dem Entdeckungsreisenden schlägt das Herz gegen die Rippen. Er klettert von dem schnaufenden Gaul und kauert sich in die Vegetation. «Haben wir ihn abgehängt?» flüstert er.
Oben auf der Straße rumpelt die langsame, verhangene Prozession vorbei. Der Entdeckungsreisende kann hier ein Bein, dort einen Kopf ausmachen, ein Hinterteil von Schaf oder Ziege. Stetiger Lärm dringt herüber, dann und wann von Flüchen und Schreien durchsetzt. Von Dassoud keine Spur. Doch urplötzlich –
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