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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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noch zaghafterer Kollege zur Hand geht, huscht mit den Schätzen in der Hand zwischen Thron und Wandschirm hin und her. Dem Entdeckungsreisenden kommt eine Erleuchtung. «Johnson», flüstert er. «Siehst du den Wandschirm da hinten?»
    «Psst», zischt Johnson gereizt. «Achten Sie bloß nicht drauf. Machen Sie, was Sie wollen, aber starren Sie auf keinen Fall dorthin. Nicht mal für einen kurzen Blick. Der Schirm da existiert gar nicht. Begriffen?»
    In diesem Moment kommt der zweite Diener angeschlichen, ein eher junger Mann, dessen Gesicht aber voller Schrumpeln und Falten ist wie das Vorderbein eines Leguans. Mit der Hand umklammert er den Sonnenschirm. Aus größtmöglicher Entfernung hält er ihn Mungo auf Armeslänge entgegen. Dann sagt er etwas auf mandingo, das wie «schu-bi-du-bi-du» klingt. Mungo starrt ihn verständnislos an.
    «Sie sollen ihnen das Ding aufmachen», hilft Johnson nach.
    Der Sonnenschirm ist von perlmuttartiger rosa Farbe, die an Damenunterwäsche erinnert. Ein Künstler hat den Tower von London, in Rot und Schwarz, darauf dargestellt. Der Entdeckungsreisende löst die Sicherung und entfaltet den Parasol mit schwungvoller Gebärde. Dies ist, wie er zu spät bemerkt, ein Fehler. Beim ersten Raschelnder Seide zuckt der Diener mit einem Aufschrei zurück; als das Schirmchen dann zu voller Farbenpracht erblüht, bricht Tumult aus. Die Wachen lassen die Speere fallen und stürzen zum Ausgang, der mutmaßliche Monarch grabscht ungestüm nach seiner Maske, der weiße Hund fährt auf den Entdeckungsreisenden los, und – womöglich der allerschlimmste Effekt – aus der hinteren Ecke dringt ein erstickter Schrei, als der Wandschirm mit lautem Getöse umfällt. Hinter dem Wandschirm, nun für alle Augen sichtbar, hockt ein bulliger Titan von Mann im Lotossitz, mit einem Bauch wie ein Medizinball, den breiten Schädel nach vorn gebeugt, während er hektische Zeichen in den Staub kritzelt. Obwohl der Entdeckungsreisende dies unmöglich wissen kann, stellt das Gekritzel des dicken Mannes die panische Geometrie des Voodoo dar – Vektoren und Tangenten, Hyperbeln und Trigone   –, alles Zauberformeln zur Abwehr des Bösen. Der Potentat ist zu Tode erschrocken.
    In der Verwirrung klappt der Entdeckungsreisende den Schirm wieder zu, weniger als versöhnliche Geste, sondern um sich damit des Hundes zu erwehren. Das hat aber eine sofortige und besänftigende Wirkung: die Wächter bleiben stehen, stoßen einander in die Rippen, grinsen einfältig; der Hochstapler ruft den Hund mit einem scharfen, knappen Befehl zur Ordnung; die Dienerschaft stellt hastig den umgestürzten Wandschirm wieder auf. Johnson hat die ganze Zeit über etwas auf mandingo geschnattert, zu schnell für den Entdeckungsreisenden, doch in einem Tonfall, der beruhigend, ja sogar scherzhaft klingt. Jetzt fügt er noch einige Sätze hinzu, dem Tonfall nach scheint es auf eine witzige Pointe hinauszulaufen. Er endet mit einem herzlichen Lachen, dann stößt er den Entdeckungsreisenden in die Seite. «He-heh», macht Mungo.
    Der Hochstapler, die Maske in der Hand, senkt zweimal den Kopf und entblößt seine Zähne in einem sonderbar verkrampften Ausdruck, der auf halbem Wege zwischenGrimasse und Grinsen liegt. Er sieht aus, als wäre er gerade in die Blase geboxt worden, nachdem er zugesehen hat, wie hundert fette Weiber auf Bananenschalen ausrutschen. Von neuem legt er die Maske an und befiehlt dann dem Diener, ihm den Sonnenschirm zu bringen. Der Diener hält das Gerät, als wäre es eine schlafende Kobra.
    Fünf Minuten später ist der Maskierte vollauf damit beschäftigt, seinen Finger in die Marmelade zu tauchen und sich unter spitzen Schreien des sinnlichen Genusses den süßen Brei von den Fingerspitzen zu lecken, während man hinter dem Wandschirm das leise Rascheln von Seide hören kann. Von Zeit zu Zeit lugt die rosa Spitze des Parasols kokett über den Rand des Wandschirms. Der Hund ist eingeschlafen, die Schnauze hat er auf das Porträt von König Georg gelegt, wie in olfaktorischer Kontemplation jenes großen, fernen Monarchen.
    Nach längerer Beratung mit dem Mann hinter dem Wandschirm kommt der Hochstapler endlich wieder heraus und beginnt eine weitschweifige Dankesrede. Die Stimme hinter der Maske ist forsch und lebhaft, trotzdem findet der Entdeckungsreisende den Dialekt schwer verständlich. Anfangs bemüht er sich noch um Interpretation, indem er die Worte einzeln identifiziert und im Geiste übersetzt, was ihm

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