Wassermusik
reden ihm zu, davonzurennen, zu fliehen, auszubüxen, zu kratzen, zu beißen, zu töten.
Im selben Moment legt sich eine vertraute Hand um seinenEllenbogen. «Ganz cool bleiben», flüstert Johnson. «Die haben Angst vor Ihnen.»
Angst? denkt er. Vor mir? Doch schon hat das Getöse etwas nachgelassen, die Wächter skandieren nur noch halblaut, der Hund läßt sich wieder auf seine Hinterläufe nieder, das Getrommel wird zum Gewisper. Eingehüllt in Felle und Federn, nimmt der Maskierte auf dem Thron Platz und gebietet mit einem Wink seines Zepters Ruhe. Der Entdeckungsreisende macht sich die kurze Flaute zunutze, um aus der Wanne zu steigen, und Johnson nähert sich dem Maskenmann mit tiefer Verbeugung und breitet die Präsente vor ihm aus. Das Sonnenlicht malt Tüpfel in den Staub unter dem Baum. Die Geschenke, von Sir Joseph Banks in London daraufhin ausgesucht, unzivilisierte Herzen zu gewinnen, glitzern wie die Schatzkammer der Götter. Einem der Wächter entschlüpft ein anerkennender Pfiff, doch der Maskenmann bleibt ungerührt, die Arme hat er vor der Brust verschränkt.
Johnson verbeugt sich von neuem, dann legt er mit der Darbietungsrede los: «O Mansong, Schrecken der Berge und der Ebene, Witwenmacher, der Ihr mit Geistern und Demiurgen ringt, Bezwinger von Elefant und Elenantilope, ich überreiche Euch diese fremden und wundersamen Geschenke im Namen meines Lehnsherrn und Beschützers, jenes freundlichen, friedfertigen und frommen weißen Mannes, der unermeßliche Entfernungen zurückgelegt hat, um sich Eurer Eminenz zu Füßen zu werfen.» Bei «zu Füßen zu werfen» dreht sich Johnson zu dem Entdeckungsreisenden um und zeigt zu Boden. Mungo wirft sich auf die Knie, streckt sich im Staub aus.
Wie er da so liegt, die Nase auf der Erde, gewahrt er eine flüchtige Bewegung in der hintersten Ecke des Hofs. Er konzentriert sich auf diesen Punkt, durch einen Schleier aus scharrenden Füßen hindurch, und aus den Augenwinkeln erkennt er dort einen Wandschirm aus geflochtenemGras, unter dem schwarze Füße mit zappelnden, fleischigen Zehen hervorlugen. Und da: Der Diener verschwindet mit gehetzter Miene hinter dem Schirm, dann fliegt sein Kopf ruckartig zurück, als wäre er an einer Schnur befestigt. Er scheint sich mit jemandem zu beraten, mit einer verborgenen Persönlichkeit, dem Koordinator jener gekrümmten, aufgedunsenen Zehen. Wieder so ein Rätsel, denkt Mungo, ein wenig fiebrig, etwas ängstlich, tief in einen Tagtraum versunken. Dann aber dringt Johnsons Stimme, diesmal auf englisch, zu ihm durch, schwebt über ihm wie ein Hornissenschwarm. «So», ein stechender Ton, «so, das reicht schon. Stehen Sie auf.»
Der Entdeckungsreisende erhebt sich, staubt seine Kleider ab. Er rückt den zerfetzten Kragen zurecht, kämmt sich den Bart mit den Fingern und streicht sich mit Spucke die Augenbrauen glatt. Doch dann bemerkt er, daß niemand auch nur die geringste Notiz von ihm nimmt – alle Blicke kreisen um ein neues Mysterium: die Geschenke. Der Diener hat sich über sie gehockt und reicht die kostbaren Stücke ehrfürchtig einzeln an den Maskenmann weiter. Als erstes den Silberteller. Dann das Tafelservice für zehn Personen und ein Paar elfenbeinerne Manschettenknöpfe. Einen Sonnenschirm. Zehn Pfrieme Kautabak und ein Glas Orangenmarmelade. Ein Dutzend Tintenfässer, ein Korsett, eine Perücke. Und zu guter Letzt das Hauptereignis: eine Miniatur mit dem Porträt von König Georg III.
So eingenommen ist der mutmaßliche Monarch von Glanz und Neuheit dieser Geschenke, daß er seine Tarnung fallen läßt: In einer fließenden Bewegung reißt er die Maske vom Kopf, um eine bessere Aussicht auf die Gaben zu genießen. Der Entdeckungsreisende ist erstaunt. Er hatte ein Monster erwartet, aber dieser Bursche da ähnelt mit seinen flinken, scharfen Augen und dem glänzenden kleinen Eierkopf eher einem Frettchen, einem Hühnerdieb,einem feigen, hinterlistigen Wesen, das im Schutz des hohen Grases und der Schatten operiert. Als der kleine Kerl einen zimperlichen Biß in den Silberteller probiert, muß sich Mungo ernsthaft fragen, wie Ebo Mansong als ungeschlachten Rohling mit Doppelkinn und Schwabbelbauch und einem Kopf wie eine Melone beschreiben konnte. War der Bursche womöglich ein Hochstapler?
Jetzt bemerkt der Entdeckungsreisende die rege Geschäftigkeit zwischen dem Thron und dem Wandschirm in der Ecke. Der Diener von vorhin, dem nun ein kleinerer, runzligerer und – falls dies möglich ist –
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