Watch Me - Blutige Spur (German Edition)
einmal davonlaufen und hoffen, dass die Polizei sich darum kümmerte. Das hatten ihre Eltern versucht, und es hatte ganz offensichtlich nicht funktioniert.
Vor Übelkeit zog sich ihr Magen zusammen. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf den Geruch von Cains Rasierwasser. Es war das einzige rettende Floß in diesem wogenden Meer aus Ungewissheit, Angst und Schmerz. „Halt dich fest. Halt dich einfach fest“, flüsterte sie.
„Sheridan?“
Als sie die Stimme in der Dunkelheit vernahm, klopfte ihr Herz plötzlich oben in der Kehle – bis sie begriff, dass sie Cain gehörte. Allem Anschein nach hatte sie sich den Geruch seines Rasierwassers nicht eingebildet. Er war da, verborgen im Schatten saß er in einem Sessel in der Ecke. Und sie hatte den Eindruck, dass er bereits eine ganze Weile bei ihr war. Er rührte sich nicht, und seiner kratzigen Stimme nach zu urteilen, schien sie ihn aufgeweckt zu haben. „Cain?“
Sie hörte ein schabendes Geräusch, als er sich über die Bartstoppeln am Kinn strich. „Ja, hier bin ich.“
„Ist es nicht schon spät?“, fragte sie verwirrt.
„Zwei oder drei Uhr morgens.“
Seine Gegenwart stärkte ihre Lebensgeister mehr, als sie erwartet hätte. Er gehörte nicht zu ihrer Familie oder zum engsten Freundeskreis, aber er war da. „Ich wusste nicht, dass ich Besuch habe.“
„Vor einer Weile habe ich versucht, dich aufzuwecken, aber du hast dich nicht gerührt.“
„Das sind die Medikamente. Die machen mich ganz groggy.“ Sorgsam darauf bedacht, ihren dröhnenden Kopf möglichst wenig zu bewegen, drehte sie sich auf die Seite. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, aber jetzt, wo sie wusste, wohin sie schauen musste, erkannte sie seine Füße unter einer krankenhauseigenen Decke. „Was tust du hier?“
Er schien jedes Wort abzuwägen. „Ich möchte dir keine Angst einjagen, aber derjenige, der dir das angetan hat, läuft immer noch frei herum.“
„Du meinst, er könnte mich noch einmal überfallen?“
„Er dürfte nicht allzu glücklich sein, wenn er hört, dass du noch lebst.“
Obwohl die Bewegung schmerzte, konnte sie nicht anders und hob den Kopf, um ihn besser sehen zu können. An die Möglichkeit, die er angedeutet hatte, hatte sie noch gar nicht gedacht. Bisher hatte sie sich zu große Sorgen darum gemacht, ob sie wieder vollständig gesund werden würde. Bis jetzt war sie noch nicht fit genug gewesen, um an sehr viel anderes zu denken. Aber er hatte sicherlich recht mit dem, was er sagte. Dabei hatte sie keine Ahnung, warum sie überhaupt angegriffen worden war.
„Du bist also … ein Cop oder beim Sicherheitsdienst oder so etwas?“, fragte sie. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er mit Ned zusammenarbeitete, aber irgendeinen Grund musste es schließlich haben, dass Cain hier saß und sie beschützte.
„Nein.“
„Und wie bist du an den Aufpasserjob gekommen?“ Das war doch nicht sein Problem! Bis sie nach dem Angriff die Augen aufgeschlagen und festgestellt hatte, dass er sie anstarrte, hatte sie seit Jasons Tod keinen Kontakt mehr mit ihm gehabt. Sie hatte ihm einen Brief geschrieben und gesagt, wie leid es ihr täte. Er hatte nie darauf geantwortet, und dann war sie mit ihrer Familie fortgezogen. Seitdem hatte Funkstille geherrscht.
„Ich habe mich selbst engagiert.“
„Wo ist Ned?“
„Er sagte, er sei zu müde, um zu fahren. Ich glaube, er hat sich ein Motelzimmer genommen.“
„Und?“ Sie wusste, dass er ihr etwas verschwieg.
„Und wahrscheinlich eine Prostituierte eingeladen. Ned lässt nichts anbrennen, sobald er seiner Frau entwischen kann.“
„Gut zu wissen, dass er sich so um mein Wohlergehen sorgt.“
„Er sorgt sich um nichts, bis es passiert ist. Und dann sucht er sich jemanden, dem er die Schuld geben kann.“
Ned hatte ihr gesagt, dass er Cain für den Angreifer hielt. Aber wenn er das ernsthaft glaubte – warum hatte er sie dann mit ihm allein gelassen? „Er mag dich auch nicht.“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Vor ein paar Jahren habe ich ihm die Nase gebrochen.“
„Warst du betrunken?“
„Nein, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er es war.“
„Wie ist es dazu gekommen?“
„Ich weiß nicht. Ich hatte ihn gar nicht bemerkt, bis er mich angemacht hat.“
Wenn man Cains Ruf bedachte, musste Ned sternhagelvoll gewesen sein, dass er ihn überhaupt herausgefordert hatte. „Ich hoffe, ihr wart zu dem Zeitpunkt nicht mehr verschwägert.“
„Ich war nur drei Monate lang sein
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