Watch Me - Blutige Spur (German Edition)
bog die Schultern zurück und schluckte hart. „Owen hat uns in jener Nacht beobachtet“, flüsterte sie.
Cain antwortete nicht sofort. Er blickte zur Seite, ordnete die Gabel neu an, die zusammen mit einem klein geschnittenen Steak auf dem Teller lag. „Wovon redest du da?“
„Oh, tut mir leid“, sagte sie mit einem bitteren Lachen. „Vermutlich hast du es bei den vielen Mädchen einfach vergessen. Nur um dein Gedächtnis aufzufrischen: Wir haben einmal miteinander … gevögelt. In einem Wohnmobil. Auf einer Party. Ich war sechzehn, und du warst …“
„Ich erinnere mich daran.“
In diesen Worten lag sehr viel Gefühl, doch Sheridan konnte nicht erraten, um was für Gefühle es sich handelte. „Owen war ebenfalls dort. Er hat uns die ganze Zeit über beobachtet. Wusstest du das?“
„Nein.“ Sein Gesicht wurde dunkel. Entweder war er wütend oder ebenso verlegen wie sie. Aber Cain wurde niemals verlegen. Dazu war er viel zu desinteressiert.
„Aber es war so“, beharrte sie.
„Woher weißt du das?“
„Er hat es mir heute Mittag erzählt.“ Ihr Kopf tat weh. Ihr ganzer Körper schmerzte. Aber sie musste aufhören zu heulen. Sie wollte in Cains Gegenwart nicht weinen. „Er … er sagte, er sei draußen vor dem Wohnmobil gewesen, als wir hineingegangen sind. Etwas an der Art, wie er es sagte, ließ mich glauben, dass er … dabei war. Im Wohnmobil.“
Cain verschränkte die Arme, aber er war nicht entspannt. „Selbst wenn das wahr ist, brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Er hat es niemandem erzählt. Und er wird es niemandem erzählen.“
„Mich dir keine Sorgen?“, wiederholte Sheridan fassungslos. „Das ist alles? Er war Zeuge beim demütigendsten Moment meines Lebens!“
Cain fuhr zurück, als hätte sie ihn geschlagen. Das Aufblitzen des Schmerzes in seinem Gesicht überraschte sie so sehr, dass sie verstummte. Dann stand er auf und verließ das Zimmer. Einen Moment später war er wieder da, in der einen Hand ihr Schmerzmittel, in der anderen ein Glas Wasser, um die Tabletten herunterzuspülen.
„Hier.“
Ihre schroffen Worte hatten ihre Wut und ihren Groll ausgelöscht. Jetzt fühlte sie sich kalt und leer, und ein neues Gefühl des Bedauerns quälte sie.
Die Tabletten waren ihre Fahrkarte, mit der sie entkommen konnte. Sie brauchte sie, brauchte die Zuflucht, die sie ihr boten. Gierig griff sie danach und schluckte sie beide auf einmal herunter. Mit zusammengebissenen Zähnen nahm Cain das leere Glas und das Tablett und ging hinaus.
Cain konnte Owen nicht erreichen. Er saß mit seinen Hunden draußen auf der Veranda, dankbar für die kühle Nachtluft. Während der letzten acht Tage hatte er über den Mann nachgedacht, der Sheridan verletzt hatte, über das Gewehr, das man in seiner Blockhütte gefunden hatte, über die tiefsitzenden Zweifel seines Stiefvaters und über seine Mutter. Aus irgendeinem Grund musste er viel an Julia denken, seit Sheridan wieder hier war. Er vermisste sie und fühlte sich genauso jung und verlassen wie mit siebzehn. In seiner ganzen verkorksten Kindheit war seine Mutter das einzig Positive gewesen, und er hatte zusehen müssen, wie sie dahinsiechte, bis sie schließlich gestorben war.
Koda spürte seine Ruhelosigkeit und winselte aus Mitleid mit ihm, sein Schwanz schlug auf die Holzbohlen. Maximilian hatte die Schnauze in Cains Schoß gelegt, und Quixote döste zu seinen Füßen. Er lehnte sich zurück, stützte sich auf die Hände und blickte hinauf in den Sternenhimmel. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, er hätte es jemand anderem überlassen, sich um Sheridan zu kümmern. Oder Ned hätte einen Posten vor ihrem Zimmer im Krankenhaus aufstellen sollen. Aber er vertraute herkömmlichen Medikamenten nicht besonders. Die ganze Chemie rief nur andere Krankheiten hervor. Er würde sie schon wieder hochpäppeln, daran hatte Cain keinen Zweifel. Vielleicht konnte er ihre Symptome nicht so gut überdecken, und vielleicht würde es ein Weilchen dauern, aber er konnte sie gesund machen – ohne Nebenwirkungen.
Er wollte es tun, wollte ihr die Chance geben, wieder vollständig gesund zu werden. Vermutlich war das seine Art, für damals zu büßen. Damals hatte er es darauf angelegt, Chaos und Verwüstungen anzurichten, wo und bei wem auch immer ihm möglich war.
Er hob einen Stein vom Boden auf, schleuderte ihn auf die Lichtung und hörte, wie er irgendwo in der Nähe des Schuppens aufkam, in dem er seine Werkzeuge und Gartengeräte
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