Watch Me - Blutige Spur (German Edition)
Chemotherapie. Ich habe dich in der Schule gesehen, wie du auf einen Schwatz mit deiner neuen Liebe gehofft hast, während meine Mutter dahinsiechte.“
Sein Stiefvater biss die Zähne zusammen. „Ich war völlig aus der Bahn geworfen. Ich konnte damit nicht umgehen. Verstehst du das nicht? Ich hatte Kinder, die aufgezogen werden mussten. Ich wusste nicht, was ich ohne sie machen sollte.“
„Also hast du dich schon mal rechtzeitig nach einem Ersatz für sie umgeschaut?“
John stieß sich vom Schreibtisch ab und stand auf. „Du mieser Dreckskerl! Dir gefällt es doch, mich schlecht dastehen zu lassen!“
„Ist das das Einzige, worum du dir Sorgen machst, John? Wie du auf andere Leute wirkst?“
„Ich habe mich um deine Mutter gekümmert!“
Gekümmert? Er hatte nicht einmal gesagt, dass er sie liebte. Weil er es nicht getan hat. Nicht am Schluss. Und wenn doch, dann hatte er sich selbst zumindest mehr geliebt. Aber das überraschte Cain nicht. „Und wo hast du gesteckt? Warst du da, als sie dich gebraucht hat?“
Es war Cain gewesen, der bei ihr gesessen hatte, wenn der Schmerz zu heftig wurde. Cain, der versucht hatte, es ihr so bequem wie möglich zu machen, und sich mit den Hospizhelfern abgestimmt hatte. Cain, der sich geweigert hatte, die Hoffnung aufzugeben, und sich so lange wie möglich daran geklammert hatte. Seine Stiefbrüder und sein Stiefvater hatten sich benommen, als sei alles in Ordnung. Sie hatten stets eine Ausrede parat gehabt, warum sie gerade jetzt wegmussten -selbst Jason und Marshall. Jason war zu beschäftigt mit der Schule. Und Marshall musste mit Mildreds Tod fertig werden, danach war er nicht mehr derselbe gewesen.
„Vielleicht habe ich es einfach nicht ertragen, ihr dabei zuzusehen.“
Cain wünschte, er könnte John glauben. Aber es war nur eine Ausrede. Irgendwann hatte seine Englischlehrerin ihm anvertraut, dass John ihr bereits seit Monaten nachstellte. Danach hatte Cain einen Nachmittag mit ihr im Bett verbracht, eine stille Form der Rache. Sie wollte damals eine Fortsetzung, doch Cain hatte sich geweigert, ihr noch einmal nach dem Unterricht „bei der Gartenarbeit zu helfen“.
Karen Stevens war ein paar Jahre nach seinem Abschluss fortgezogen, aber vor sechs Monaten nach Whiterock zurückgekehrt. Jetzt unterrichtete sie wieder an der Highschool – und war mit John zusammen. So hatte John letzten Endes doch seinen Willen bekommen.
Vage fragte Cain sich, was sein Stiefvater wohl sagen würde, wenn er herausfände, dass er mit Karen geschlafen hatte. Einen verwegenen Moment lang fühlte er sich versucht, zurückzuschlagen und ihm diese Tatsache ins Gesicht zu schleudern. Aber er wusste, dass er sich am Ende nur noch schlechter fühlen würde. Und es würde Karen verletzen. „Falls du auf mein Mitgefühl hoffst, kannst du lange warten“, sagte er.
„Ich will dein Mitgefühl nicht!“, spie John aus. „Ich will die Wahrheit wissen! Es ist Zeit, reinen Wein einzuschenken, Cain. Es ist die einzige Möglichkeit, wie wir heilen können, die einzige Möglichkeit, wie diese Gemeinde die Vergangenheit hinter sich lassen kann.“ Mit einer flehenden Geste ergriff er Cains Arm, und Cain zwang sich, ihn gewähren zu lassen und nichts anderes zu tun, als auf die Finger hinabzublicken, die seinen Unterarm umklammerten. Der einzige Vater, den er je hatte, hielt ihn für einen Mörder. Doch andererseits hatte John sich nie wie ein Vater verhalten.
„Denk an Owen und Robert. Denk an Grandpa!“
„Ich habe es nicht getan.“
Sein Stiefvater verstärkte seinen Griff. „Bitte!“
„Ich habe es nicht getan!“ Er stieß Johns Hand fort und ließ die Tür gegen die Wand krachen, als er hinausstürmte.
Sheridan hatte Cains letzte Worte gehört. Das gesamte Büro hatte sie gehört.
„Ja, klar doch“, murmelte Peterson leise, griff jedoch nicht ein. Dazu hatte er auch gar keine Gelegenheit. Denn in diesem Moment kam Ned herein und zog seine Waffe, sobald er Cain erblickte.
„Du Hurensohn!“, schrie er und zielte mit der Pistole auf Cains Brust.
Sheridans Mund wurde trocken. Cain blieb stehen, in seinen Augen blitzte etwas auf. Fast im gleichen Moment erschien John Wyatt in der Tür zu Neds Büro. Er wirkte blass und gezeichnet.
„Chief, was machst du da?“ Petersons Stimme war tief und wachsam. „Nimm die Waffe weg!“
„Er hat sie umgebracht!“ Neds Stimme klang spröde vor Trauer. „Alles, was sie je verbrochen hat, war, ihn zu lieben! Alles, was sie je
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