Watch Me - Blutige Spur (German Edition)
hatte sie nie eingeladen. Schließlich hatte sie ihn gefragt, ob sie zusammen ins Kino gehen wollten. Als die Zeit reif war, musste sie ihm sogar beim Heiratsantrag auf die Sprünge helfen.
Sheridan strich sich das Haar hinter die Ohren. „Er ist auf jeden Fall nicht gewalttätig.“
Cain versuchte sich daran zu erinnern, wie sich sein vierzehnjähriger Bruder nach dem Intermezzo im Wohnmobil verhalten hatte. Aber er war so überwältigt gewesen vom Tod seiner Mutter und so damit beschäftigt, jeden Kontakt zu seinem Stiefvater zu vermeiden, dass er nicht sonderlich darauf geachtet hatte, was Owen trieb. Seine Stiefbrüder hatten einander, und sie hatten ihren Vater. Um sie hatte er sich keine Sorgen gemacht. „Ich erinnere mich nur, dass er immer nur lernte, und wenn er nicht lernte, las er. Darum hatte ich ihn auch zu der Party mitgenommen. Ich dachte, es sei an der Zeit, dass er mal ein bisschen was erlebt.“
„Die Footballspiele hat er immer besucht“, sagte Sheridan. „Ich glaube, er hat kein einziges verpasst. Er war immer da und saß direkt hinter uns … den Cheerleadern, meine ich.“
„Als wäre er nur gekommen, um dich zu sehen?“, fragte Cain. Das war das Einzige, das in dem Puzzle noch fehlte. Ein Motiv. Warum hätte Owen den Wunsch verspüren sollen, Jason oder Sheridan etwas anzutun? Und war der sanfte und wohlerzogene Arzt, den er kannte, wirklich dazu fähig, so entsetzliche Dinge zu tun, noch dazu in so frühem Alter?
Das war fast unmöglich zu glauben. Aber es musste eine Erklärung für das Bild von Sheridan in seinem Truck geben.
„Ich glaube nicht“, sagte sie. „Wo hätte er denn sonst sitzen sollen? Der arme Junge war zwei Jahre jünger als alle anderen in seinem Jahrgang. Er hatte keine Freunde, mit denen er hätte hingehen können. Mich kannte er von den Kursen, die wir zusammen hatten. Vielleicht fühlte er sich in meiner Nähe etwas wohler.“ Sie klang zuversichtlich, trotzdem huschte ein Schatten über ihre Züge.
„Was ist?“ Cain war um sie herumgegangen und hielt ihr die Tür auf.
„Eine merkwürdige Sache gab es. Aber das ist nicht damals passiert, sondern erst vor Kurzem.“
„Was denn?“
„Als er unsere …“, sie räusperte sich, „… Zeit im Wohnmobil erwähnte.“
„Was hat er gesagt?“
„Er sagte: ,Du warst das einzige Mädchen, von dem ich glaubte, es würde ihm eine Abfuhr erteilen.’ Als hätte ich ihn enttäuscht, weil ich es nicht getan habe.“
Cain ließ Sheridan am Roadhouse Cafe aussteigen, das ihm hell erleuchtet und öffentlich genug schien, damit sie dort sicher war. Es gefiel ihr gar nicht, wie ein Gepäckstück abgestellt zu werden, aber er hatte nicht vor, sie länger als eine Stunde allein zu lassen. Es widerstrebte ihm, sie mitzunehmen, wenn er Owen zur Rede stellte. Vor Publikum würde Owen kein Wort sagen, insbesondere vor weiblichem Publikum. In Gegenwart von Frauen hatte er sich schon immer unbehaglich gefühlt, und mit Ausnahme seiner Frau hatte er fast ausschließlich Umgang mit Männern.
Aber Owen war nicht zu Hause, um den Sonntagnachmittag in seinem teuren klimagekühlten Haus zu verbringen, wie Cain erwartet hatte. Seine Frau sagte, er habe einen Anruf von einem Patienten erhalten und sei in die Praxis gefahren.
Nachdem er einen Moment mit seinen drei Neffen gespielt hatte, bedankte Cain sich bei Lucy und fuhr zu Owens Praxis. Vielleicht erwischte er seinen Stiefbruder, sobald der Patient gegangen war. Aber wer immer es war – es handelte sich um eine Frau, wie er trotz der heiseren Stimme erkennen konnte –, war immer noch dort. Er konnte sie und Owen hinter der geschlossenen Tür hören, die den Empfangsbereich vom Untersuchungszimmer trennte.
Sie haben eine Streptokokkeninfektion.
Himmel, es ist Hochsommer! Wo habe ich mir das denn eingefangen?
Das kann überall passiert sein. Ich werde Ihnen ein Antibiotikum verschreiben, dann sollte es Ihnen innerhalb von vierundzwanzig Stunden besser gehen. Wenn sich Ihr Zustand nicht merklich verbessert, rufen Sie mich an. Und nehmen Sie ein paar Ibuprofen gegen das Fieber, sobald Sie wieder zu Hause sind.
Cain schaltete das Licht in der Lobby an und blätterte in ein paar Zeitschriften. Dann stand er auf, um nachzusehen, ob Owen einen neuen Fisch für das riesige Aquarium gekauft hatte, das den Großteil der einen Wand einnahm, aber die ganze Zeit über behielt er die Uhr im Blick und grübelte über Tigers Entdeckung nach. Was würde Owen ihm antworten?
Endlich
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