Watermind
anderen Sensoren – pH-Wert, Photometrie, Trübung, Turbulenz –, und alle Datenwerte tanzten im selben Rhythmus.
»Molekülmusik«, hauchte sie ehrfürchtig.
»O ja, es hat Taktgefühl.« Max drückte sein Ohr an den Lautsprecher des Hydrophons. »Er spielt meinen Rhythmus nach, Note für Note.«
Sie hüpfte auf ihrem Stuhl herum und rief: »Es komponiert chemische Musik!«
»Komponiert? Nein, Mädchen, es ahmt nur nach, was ich gemacht habe.« Grübchen bildeten sich in Max' Wangen. »Es spielt bèl , sehr exakt, wie ein Echo.«
»Es imitiert dich? Aber ich dachte …« Sie sah sich noch einmal die Abfolge der Wellen an. »Ich dachte, es würde dir antworten.«
Max biss sich auf die Lippe. »Ceegie, ma chagrenne . Du hast eine ganz wunderbare Musikmaschine aus Wasser und Müll entdeckt. Das ist Wahnsinn.«
»Richtig.« Sie versuchte zu lachen, aber ihr Gesicht hatte einen leichten Grauton angenommen. Sie hatte viel zu lange auf einem sehr intensiven Level gearbeitet.
»Djab dile lernt«, sagte er. »Es braucht Zeit, um Musik zu lernen. Wir geben ihm eine Lektion in Komposition.«
»Wie?«
Max rückte das Keyboard auf seinen Knien zurecht. »Wir fangen mit G-Dur an.«
Er schlug den Akkord an, zuerst alle Töne gleichzeitig, dann nacheinander in aufsteigender Reihenfolge. Danach spielte er einfach Melodien in G und gruppierte die Handvoll Töne auf unterschiedliche Weise. CJ überprüfte, ob der Computer immer noch alles aufzeichnete, was Max spielte. Ihre Bildschirme zeigten, dass der Strang seine kinetische Energie änderte, um die Noten zu imitieren.
»Wir machen weiter, bis es gelernt hat«, sagte Max.
CJ setzte sich auf den rauen warmen Beton und beobachtete, wie Regentropfen auf der Abdeckung des Bassins hüpften. Dann erhob sie sich wieder, um die gemessenen Werte zu überprüfen. Die Ungeduld trieb sie ständig zwischen den Computern und dem Wasser hin und her, während Max die Noten seiner Musikstunde für Anfänger spielte.
50
Dienstag, 15. März, 15.50 Uhr
Auf der anderen Seite der Stadt nahm Hal Butler in seinem abgeschotteten Büro einen Schluck Dixie-Bier. Lose Zettel, USB-Sticks, Magnetdisketten, Fast-Food-Verpackungen und mehrere abgenutzte Taschenbücher übersäten seinen Schreibtisch, ganz zu schweigen von den Halbschuhen, in denen seine sockenlosen verschwitzten Füße steckten. Im Zentrum des Chaos lag sein Kassettenrekorder, randvoll mit Hörensagen, Gerüchten und wüsten Spekulationen über den Watermind.
Endlich hatte er den großen Knüller seiner Journalistenkarriere gefunden. Reichtümer, Ruhm, lange Schlangen williger junger Frauen, seine persönliche Vorstellung des Paradieses erwarteten ihn. In dieser Story vermischten sich die besten Qualitäten seiner Lieblingsfilme, Das Ding aus dem Sumpf, Der Schrecken vom Amazonas und der aufregende Klassiker von 1958, Der Blob , in dem ein außerirdischer Klumpen aus Himbeersaft versucht, eine Kleinstadt zu fressen. Hal konnte seinen Pulitzer schon fast schmecken. Der Watermind würde ihn in die Ruhmeshallen des Journalismus katapultieren. Doch leider hatte er keine Fakten.
Das Reilly-Mädchen vertröstete ihn mit immer neuen Ausflüchten. Sie wollte sich nicht auf ein Interview einlassen, und jetzt beantwortete sie seine Telefonanrufe gar nicht mehr. Er hob die Blechdose und ließ sich den letzten Rest des kühlen Biers in die Kehle rinnen. Liebevoll schob er mit einem Rasiermesser eine Linie Kokain auf einem Spiegel zusammen. Dann zog er sich den weißen Staub durch einen Strohhalm in die Nase.
Sekunden später überkam ihn eine plötzliche Offenbarung. Was dieser Geschichte fehlte, war ein Bild – etwas Anschauliches, das sich dem Leser ins Gedächtnis brennen würde. Auf einem Notizblock zeichnete er eine grobe Skizze – so etwas wie einen flüssigen Flaschengeist mit Fangzähnen im aufgerissenen Maul. Es hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem von Maschinen erzeugten Monster aus Alarm im Weltall, einem weiteren Film, den er sehr bewunderte.
Sehr gut. Die Zeichnung verlieh ihm neue Energie. Er zog seine Tastatur heran, schnippte mit den Fingern und tippte die URL für das Holy-Trinity-Diskussionsforum ein. Im Handumdrehen hatte er sich vom rasenden Reporter Hal Butler in sein geheimes Alter Ego verwandelt, den apokalyptischen Blogger Jeremiah Destiny. Schon bald tauschte er per Instant-Messaging Nachrichten mit seiner Muse aus.
Hal alias Jeremiah wusste sehr wenig über seine treue Online-Brieffreundin Sœur
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