Watersong - Sternenlied (German Edition)
was anderes kommen. «
» Na ja … « Harper drehte den Ring an ihrem Finger. » Aber das sind doch alles wichtige Gründe. «
» Nicht wirklich. Andere Leute schaffen es doch auch, zur Schule zu gehen und trotzdem Spaß zu haben « , sagte Gemma. » Alles, was ich hier aufgezählt habe, sind Ausreden. «
» Sich auf die Schule zu konzentrieren, ist eine berechtigte Lebensentscheidung « , wandte Harper ein. » Wir haben kein Geld für die Uni, und wenn ich mich nicht so angestrengt hätte, um das Stipendium zu bekommen, hätte ich gar nicht gehen können. «
» Ich weiß. « Gemma seufzte. » Aber du benutzt mich und die Schule als eine Art Schutzschild, damit du niemandem zu nahe kommen musst. Und ich werde nicht immer da sein und dir als Puffer dienen. Irgendwann wirst du echte Beziehungen mit anderen Leuten haben müssen, sonst endest du irgendwann einsam und allein. «
» Wahnsinn. « Harper lachte düster. » Das klingt ja, als wäre ich eine alte Jungfer. «
» Nein, bist du nicht. Das denke ich ganz bestimmt nicht von dir. Ich bin nur … ich will damit nur sagen, dass es vielleicht ganz nett sein könnte für dich, diesen Sommer etwas Zeit mit Daniel zu verbringen. «
Nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte, begriff Gemma, was sie da tat. Sie versuchte, sich um Harper zu kümmern. Wenn sie heute Abend ihr Zuhause verließ, wollte sie die Gewissheit haben, dass ihre Schwester nicht allein blieb, dass sie jemanden hatte, an den sie sich anlehnen konnte. Harper selbst glaubte nicht, dass sie jemanden brauchte, aber das tat sie, und offenbar hatte Daniel ihre Fassade durchschaut und wusste das auch.
Ohne nachzudenken, ging Gemma zu ihrer Schwester und umarmte sie. Verdutzt und verwirrt stand Harper eine Sekunde lang da, dann schlang sie die Arme um Gemma und drückte sie ebenfalls.
» Ich weiß nicht, was jetzt wieder in dich gefahren ist « , sagte Harper lächelnd. » Aber es gefällt mir. «
Nachdem sie die Küche aufgeräumt hatten, ging Harper hoch, um zu lesen, wie meistens nach dem Essen. Gemma blieb noch eine Weile im Wohnzimmer und sah mit ihrem Vater fern. Als er ins Bett ging, umarmte Gemma ihn und sagte ihm, wie lieb sie ihn hatte.
Harper blieb meistens lange auf und las. Gemma musste warten, bis sie eingeschlafen war, um sich aus dem Haus zu schleichen, und deshalb tat sie erst einmal so, als würde sie zu Bett gehen. Schlafen konnte sie sowieso nicht. Die Wassermelodie schien nachts noch schlimmer zu werden und hatte sie auch die Nacht zuvor kaum schlafen lassen.
Sie ließ ihre Tür offen und starrte auf den Lichtstrahl, der unter Harpers Tür in den Flur schien. Als das Licht endlich erlosch und anzeigte, dass Harper zu Bett gegangen war, wartete Gemma noch eine halbe Stunde, um ganz sicherzugehen.
Ohne ihr eigenes Licht anzuschalten, schlich sie durch ihr Zimmer und steckte ein paar ihrer persönlichen Dinge in einen Rucksack. Dabei wusste sie gar nicht, was sie alles mitnehmen sollte.
Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie mit den Sirenen gehen würde. Sie wusste nur, dass sie nicht hierbleiben konnte. Wenn sie sich entscheiden sollte zu sterben, sollte es ihre Familie nicht sehen. Es wäre besser, wenn sie dachten, Gemma wäre davongelaufen. Dann konnten sie sich vorstellen, sie wäre da draußen irgendwo am Leben.
Das Einzige, was sie für ihre Familie noch tun konnte, war, ihnen diese Hoffnung zu lassen.
Am Ende wählte sie ein paar Kleider und das Foto von ihrer Mutter, Harper und sich selbst, das neben ihrem Bett stand. Vorsichtig nahm sie das Bild aus dem Rahmen und schob es in eine Plastikhülle. Alles andere ließ sie in ihrem Zimmer.
Bevor sie ging, blieb sie in der Tür stehen und überlegte, ob sie noch einen Abschiedsbrief schreiben sollte. Aber was sollte sie darin sagen? Wie konnte sie es ihnen erklären?
Gemma ging hinaus und schloss so leise wie möglich die Tür hinter sich. Sie schaute auf das Nachbarhaus. In Alex’ Zimmer brannte noch Licht. Das Fenster war geöffnet, und sie hörte die leisen Klänge der Musik, die er gerade hörte.
Den ganzen Tag über hatte Gemma versucht, ihr Leben zu regeln, doch sie hatte es mit Absicht vermieden, Alex zu sehen. Es war schwer genug, ihre Schwester und ihren Vater zurückzulassen. Mit Alex zu sprechen, hätte sie nicht ertragen.
Und so senkte sie den Kopf und ging über den Rasen. Sie nahm die Abkürzung durch seinen Garten, weil das der schnellste Weg zur Bucht war. Die Wassermelodie wurde lauter, als sie
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