Watersong - Wiegenlied: Band 2 (German Edition)
ohne die Übelkeit und das leise Grauen.
Sie beschloss, schwimmen zu gehen, um sich zu beruhigen. Nächtliche Schwimmausflüge waren schon seit Jahren ihr Allheilmittel, wenn es ihr nicht gut ging, ihre Art, sich mit Angst und schlechten Gefühlen auseinanderzusetzen. Seitdem sie zur Sirene geworden war, hatte sie sich diesen Trost versagt, aber das hatte alles nur noch schlimmer gemacht.
Gemma ließ ihre Bikinihose am Ufer zurück, tauchte in das kalte Wasser ein und schwamm unter den Sternen ins Meer hinaus.
Sie versuchte, ihre Emotionen wegzurationalisieren, aber das verschaffte ihr keinen Trost. Was sie getan hatte, war unrecht gewesen, und daran konnte nichts etwas ändern. Aber sie musste lernen, damit zu leben, denn sie konnte es nicht ungeschehen machen, und– ob es ihr nun gefiel oder nicht– es gehörte zu ihrem neuen Leben. Sie musste es tun, um zu überleben, denn dazu hatte sie sich bereit erklärt, um Alex und Harper zu schützen.
Alles Wasser im Ozean würde nicht ausreichen, um das Blut abzuwaschen, das an ihren Händen klebte, aber wenigstens wurde sie ein bisschen ruhiger. Sie schwamm weit hinaus, legte sich dann auf den Rücken, stabilisierte sich mit ihrem Schwanz und blickte zu den Sternen hinauf.
Wo waren die Sternbilder, die Alex ihr gezeigt hatte? Sie erkannte nur noch Orion und Kassiopeia. Es war kurz vor Sonnenaufgang, und der Himmel war fast schon zu hell, um noch Sterne zu erkennen.
Als er sich rosa verfärbt hatte, beschloss Gemma, wieder an Land zu gehen. Sawyer war ein Frühaufsteher, und möglicherweise würde er Penn alarmieren, wenn ihm auffiel, dass Gemma verschwunden war. Sie wollte sich keinen Ärger mit den Sirenen einhandeln, weil sie schwimmen gegangen war, ohne Penn darüber zu informieren.
Langsam schwamm sie ans Ufer zurück und genoss jeden Augenblick. Sie hasste zwar alles andere daran, eine Sirene zu sein, aber so schwimmen zu können war wirklich magisch und wundervoll.
Und dafür musste sie dankbar sein. Sie hatte zwar alles andere aufgegeben, aber das Meer würde ihr für immer bleiben.
Sie schwamm in weiten Bögen dicht unter der Oberfläche, wie ein Delfin. Als sie schließlich aus dem Wasser schoss, glaubte sie, ihren Namen zu hören.
Sie hörte auf zu schwimmen und richtete sich auf, sodass ihr Kopf und ihre Schultern aus dem Wasser ragten. Und dann sah sie eine Gestalt wild mit den Armen fuchtelnd über den Strand in Richtung Meer rennen.
» Alex?«, hauchte Gemma.
Als sie den ersten Schock überwunden hatte, tauchte sie ins Wasser und schwamm so schnell sie konnte an Land. Sie musste ihn erreichen, bevor er ihren Namen noch einmal schrie, sonst würde er die Sirenen wecken. Falls er das nicht schon getan hatte. Gemma verstand nicht, wie er hierhergekommen war oder was er hier wollte, aber es war ihr auch egal. Sie konnte nur daran denken, wie schrecklich sie ihn vermisst hatte und dass sie es kaum erwarten konnte, ihn wieder in die Arme zu schließen.
Alex war ins Wasser gerannt, und als er bis zu den Hüften nass war, erreichte sie ihn.
Sie sprachen kein Wort. Gemma richtete sich auf und schlang die Arme um ihn. Ihre Haut war kalt vom Wasser, und als er ihre Umarmung erwiderte, spürte sie seine Hitze auf ihrem Rücken.
Er presste sie an sich und küsste sie so leidenschaftlich wie noch nie zuvor. Panik und Sehnsucht lagen in seinem Kuss und Gemma war überwältigt. Sie legte ihm die Hände in den Nacken und zog ihn noch enger an sich, und als er sie hochhob, drückte ihr Schwanz gegen seinen Bauch und seine Beine. Verzweifelt klammerte Gemma sich an ihn und wollte ihn nie wieder loslassen.
Irgendwann mussten sie eine Pause einlegen, um Atem zu schöpfen, aber Alex ließ sie nicht los, sondern legte seine Stirn an ihre und atmete tief ihren Geruch ein.
» Ich hab dich so vermisst«, flüsterte er und küsste sie noch einmal sanfter.
» Ich hab dich auch vermisst«, sagte Gemma und hätte am liebsten geweint. Sie war überzeugt gewesen, dass sie ihn nie wiedersehen würde, und jetzt hatte sie Angst davor, dass sie ihn nie wieder gehen lassen konnte.
Und mit diesem Gedanken küsste sie ihn wieder voller Leidenschaft. Ihr war bewusst, dass die Sirenen ganz in der Nähe waren und Alex sehr bald gehen musste, wenn ihr an seinem Leben etwas lag. Sie musste jede Sekunde auskosten, die ihr mit ihm blieb.
Seine Hand glitt nach unten und legte sich auf die glatten Schuppen ihres Schwanzes, der kurz über ihrem Steißbein begann. Noch nie zuvor hatte
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