Watersong - Wiegenlied: Band 2 (German Edition)
heraussuchte. Harper kochte wegen des unnötigen Zeitverlusts eine ganze Weile wütend und stumm vor sich hin und Alex schmollte.
Nach Daniels ursprünglichen Berechnungen hätten sie Myrtle Beach etwa um Mitternacht erreichen müssen, doch nach den vielen Verzögerungen hatten sie um diese Zeit immer noch zwei Stunden zu fahren.
Allmählich begann die lange Fahrt Harper zu ermüden. Sie hatte geglaubt, Aufregung und Anspannung würden sie schon wach halten, doch nach einer schlaflosen Nacht mit viel Gegrübel war sie nun doch total erschöpft.
Auf dem Rücksitz döste Alex unruhig vor sich hin. Immer wieder nickte er ein, nur um dann gleich wieder hochzuschrecken.
» Er hätte sich vorhin bei unserer Pause einen Red Bull an der Tankstelle holen sollen«, meinte Daniel.
» Was?« Harper blinzelte. Sie war ganz in Gedanken gewesen und hatte ihn kaum gehört.
» Alex.« Er deutete auf den Rücksitz und Harper sah nach hinten.
Alex war das Kinn auf die Brust gesunken und er schwankte im Rhythmus des Autos hin und her. Er schnarchte laut, wachte aber nicht auf.
» Ja, jetzt ist er wirklich eingepennt«, stellte Harper fest und unterdrückte ein Gähnen. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Straße.
» Bist du denn noch fit?«, fragte Daniel.
Er saß neben ihr und wirkte erstaunlich munter. Die Karte lag auf seinem Schoß, so gefaltet, dass ihre Strecke oben war, und er hielt eine Dose Red Bull in der Hand. Bislang hatte er weder geschlafen noch gegähnt oder auch nur über Müdigkeit geklagt.
» Alles bestens«, antwortete Harper, obwohl das nicht ganz die Wahrheit war. Sie wurde immer schläfriger und vor ihr zog sich die Straße wie ein endloses schwarzes Band dahin und machte ihr die Augenlider schwer.
» Bist du sicher?«, fragte Daniel. » Ich kann dich gerne mal ablösen. Du fährst schon so lange, es wäre besser, wenn wir uns abwechseln.«
Sie schüttelte den Kopf. » Es geht schon.«
Es gab eigentlich keinen Grund, Daniel nicht fahren zu lassen, außer, dass sie so das Gefühl hatte, die Situation besser unter Kontrolle zu haben. Dabei stimmte das natürlich nicht. Sie hatte rein gar nichts unter Kontrolle. Gemma war weggerannt und hatte sich in ein Monster verwandelt und Harper konnte nichts dagegen tun.
Aber wenigstens konnte sie das Auto fahren. Sie konnte ihre kleine Gruppe in Richtung ihrer Schwester befördern, mehr war für sie im Moment nicht möglich.
» Sag mir ruhig, wenn du müde bist«, meinte Daniel. » Ich löse dich wirklich gerne ab.«
» Alles bestens«, wiederholte Harper.
Auf der Straße waren kaum noch Autos unterwegs. Die Strecke führte durch offenes Gelände, ohne Straßenlaternen oder Häuser. Das Autofenster stand offen und Harper roch das nahe Meer.
Der Mond schien von oben auf sie herab und die gelben Linien in der Mitte der Straße verschwammen.
» Achtung!«, sagte Daniel laut. Das Auto schwenkte zur Seite und Harpers Augen flogen auf. Daniels Hand lag auf dem Lenkrad und steuerte den Wagen zurück auf die Straße.
» Was ist los?«, fragte Alex voller Panik von hinten. » Alles in Ordnung?«
» Ja, Harper muss nur mal kurz anhalten«, sagte Daniel, die Hand immer noch am Steuer.
» Mir geht’s gut«, beharrte Harper, nun hellwach, nachdem sie fast einen Unfall gebaut hatte.
» Nein, du schläfst am Steuer ein«, sagte Daniel. » Halt an.« Das war nicht direkt ein Befehl, klang aber sehr energisch, und Harper war zu müde, um mit ihm zu streiten. Außerdem hatte er recht.
» Wer schaut dann auf die Karte?«, fragte sie, während sie am Straßenrand bremste. » Ich will nicht, dass wir uns wieder verfahren.«
» Alex kümmert sich darum«, meinte Daniel. » Er hat sich jetzt ein bisschen ausgeruht, und ich habe noch eine Dose Red Bull, die er trinken kann.«
» Was soll ich?«, fragte Alex benommen und verwirrt.
Daniel, der schon die Beifahrertür geöffnet hatte, drehte sich zu ihm um. » Steig aus. Du bist dran. Du musst die Karte lesen. Harper wird eine Weile hinten schlafen.«
Zögernd verließ Harper den Fahrersitz, und ehe sie hinten einstieg, warnte sie Alex, dass sie ihn umbringen würde, wenn er sie noch einmal in die Irre führte. Sie legte sich auf den Rücksitz, und obwohl sie überzeugt war, stundenlang nicht einschlafen zu können, dämmerte sie nach wenigen Minuten weg.
Vorne fingen Daniel und Alex an, sich zu unterhalten, Harper wachte immer wieder auf und hörte Teile ihres Gesprächs. Das meiste war ganz alltägliches
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