Watersong - Wiegenlied: Band 2 (German Edition)
gehabt hätte, sich in ein männerverschlingendes Fabelwesen zu verwandeln, hätte Jason wahrscheinlich auch sie vergewaltigt. Das rechtfertigte ihre Tat jedoch keineswegs. Sie hatte nicht das Recht, andere Menschen für ihre Taten zu strafen, und ihn umzubringen war schließlich keine reine Notwehr gewesen.
Aber darüber wollte Gemma jetzt nicht nachdenken. Sie hatte geglaubt, sie würde Alex und Harper nie wiedersehen, und jetzt war sie bei ihnen. Das wollte sie genießen, solange sie konnte.
» Woher wusstet ihr, wo ich war?«, fragte Gemma, faltete die Zeitung zusammen und legte sie beiseite. » In genau diesem Haus an genau diesem Strand?«
» Das haben wir Harper zu verdanken«, sagte Alex und deutete auf ihre Schwester.
» Woher wusstest du es?«
» Ich wusste es einfach«, sagte Harper widerwillig. » Keine Ahnung, wie ich das erklären soll. Aber ich wusste einfach, dass du genau dort bist.«
Die Fahrt nach Hause dauerte nicht besonders lange. Vielleicht kam es Gemma aber auch nur so vor. Schließlich hatte sie eine ganze Weile mit Alex auf dem Rücksitz geknutscht, bis Harper irgendwann drohte, sie mit dem Gartenschlauch abzuspritzen.
Gemmas Aufmerksamkeit war hauptsächlich auf Alex gerichtet, aber als sie sich in seinen Arm gekuschelt hatte, fiel ihr auf, wie Harper und Daniel miteinander umgingen. Daniel versuchte, Harper aufzuheitern und sie dazu zu bringen, sich zu entspannen. Harper wehrte sich zwar zunächst, lachte aber irgendwann beinahe gegen ihren Willen doch über seine Witze.
Als sie abends Capri erreichten, beschloss Harper, Daniel bei seinem Boot abzusetzen, bevor sie Gemma nach Hause brachte. Sie hielt an den Docks, um ihn rauszulassen.
» Danke«, sagte sie und vermied es, Daniel dabei direkt anzusehen. » Fürs Mitkommen und für deine Hilfe beim Suchen, und für alles.«
» Ach, keine Ursache«, wehrte Daniel ab. Er blieb noch einen Augenblick lang im Auto sitzen und öffnete dann die Tür. » Also bis die Tage.«
» Jepp.« Harper nickte ihm zu.
» Tschüss, Daniel«, fügte Alex hinzu, und Daniel winkte ihm noch einmal.
» Wartet einen Moment«, bat Gemma und sprang aus dem Auto. » Moment«, rief sie Daniel zu, der schon ein paar Schritte gegangen war.
» Ja?« Er drehte sich zu ihr um.
Gemma rannte zu ihm, schlang ihm die Arme um die Taille und umarmte ihn. Nach einer Sekunde Zögern erwiderte er die Umarmung, die allerdings kurz und ein bisschen steif blieb. Aber Gemma lächelte, als sie sich von ihm löste und einen Schritt zurück ging.
» Ich wollte mich bloß richtig dafür bedanken, dass du mir geholfen hast und dir Sorgen gemacht hast«, sagte Gemma.
» Ach, das war wirklich keine große Sache«, winkte Daniel verlegen ab.
» Und danke für Harper«, fügte Gemma hinzu.
» Harper?«
» Ja.« Gemma nickte ernst. » Sie braucht dich mehr, als ihr bewusst ist, und es freut mich, dass du das erkennen kannst.«
» Äh…« Daniel schienen die Worte zu fehlen. » Äh… gern geschehen?«
» Okay.« Gemma ging zurück zum Auto und winkte ihm noch einmal zu. » Bis bald dann.«
Als sie wieder ins Auto stieg, fragte Harper, worum es gegangen sei, doch Gemma antwortete nur mit einem Achselzucken. Harper fuhr sie ohne ein weiteres Wort nach Hause zurück.
ZWEIUNDZWANZIG
Endlich daheim
E s war ein seltsames Gefühl, wieder in ihrem eigenen Zimmer zu sein. Gemma stand lange im Türrahmen und betrachtete den ganzen Kram, den sie hier zurückgelassen hatte. Sie kam sich vor, als sei sie in einer Art Zeitmaschine zurückgereist. Eigentlich war sie nicht wirklich lange fort gewesen, aber der Wahnsinn der vergangenen Wochen verlieh ihr das Gefühl, dass das Mädchen, das dieses Zimmer bewohnt hatte, schon seit einer Ewigkeit nicht mehr existierte. Außerdem war alles so bunt hier. Die hellblauen Wände, die farbenfrohe Tagesdecke, sogar das Michael-Phelps-Poster an der Wand. Nach all dem Weiß in Sawyers Haus wirkte der Raum beinahe grell.
Gemma ließ sich auf ihr schmales Bett sinken, das sich so viel besser anfühlte als das riesige, leere Bett, in dem sie zuletzt geschlafen hatte. Alles hier fühlte sich so viel besser an. Das Haus war zwar klein und alt, ein krasser Gegensatz zu dem luxuriösen Strandhaus, aber das war egal.
Dies war ihr Zuhause.
Sie blickte zu ihrem Nachttisch, wo ein Foto von ihr, Harper und ihrer Mutter hätte stehen sollen, das sie vor Jahren dort aufgestellt hatte. Aber es stand nicht dort. Panisch setzte sie sich auf, aber dann fiel ihr
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