Watersong - Wiegenlied: Band 2 (German Edition)

Kräfte. Wenn Sawyer unter dem Bann einer Sirene stand, mobilisierte er jedes letzte Quäntchen Kraft, das er in Reserve hatte, um ihre Wünsche zu erfüllen. Er konnte sich verhalten wie ein wahnsinniger Speedfreak, wenn es sein musste.
    Er zog Gemma eine Böschung hinunter, die zu den Docks führte, auf denen ihr Vater arbeitete. Jetzt waren sie menschenleer, dort konnten Sawyer und die Sirenen mit Gemma machen, was sie wollten. Oder mit Alex, falls sie ihn fanden.
    Gemma fühlte eine ganz neue Panik in sich aufsteigen, und gleichzeitig spürte sie, wie sie sich veränderte. Es erinnerte sie an die vertraute Transformation ihrer Beine in einen Fischschwanz, war aber anders. Ihre Sicht veränderte sich. Zuerst verschwamm ihr alles vor den Augen, aber dann wurde ihr Umfeld so gestochen scharf wie nie zuvor.
    Ihr Mund zitterte und kribbelte, als würden ihre Zähne jucken. Ihre Hände schienen sich zu strecken, und die Fingernägel, mit denen sie über Sawyers Arm gekratzt hatte, verwandelten sich in Klauen.
    Gemma durfte nicht zulassen, dass sie zu einem Vogelmonster wurde. Beim letzten Mal hatte sie es nicht geschafft, die Verwandlung zu kontrollieren. Sie erinnerte sich nicht mehr daran, was genau sie in ihrer Vogelform getan hatte, aber es hatte einen Menschen das Leben gekostet. Das durfte sie nicht noch einmal riskieren.
    Denn obwohl Sawyer sie im Grunde genommen gerade entführte, wollte sie ihn nicht verletzen. Nicht ernsthaft. Er war nicht Herr seiner selbst, und in den wenigen Momenten der Klarheit, in denen sie ihn erlebt hatte, war er ein netter Typ gewesen. Er verdiente es nicht, verletzt zu werden, und sie wollte ihn auf keinen Fall in Stücke reißen.
    Gemma schloss die Augen und konzentrierte sich so fest sie konnte darauf, die Verwandlung zu stoppen. Sie hatte noch nie versucht, sich davon abzuhalten, eine Meerjungfrau zu werden oder sich in ihre menschliche Form zurückzuverwandeln, also wusste sie nicht genau, was sie gegen die Veränderung tun sollte.
    Sie wusste nur eines: Sie musste Sawyer entkommen. Er hatte sie zu einem abgelegenen Dock geschleppt, und ihre Angst davor, was die Sirenen mit ihr anstellen würden, hatte die Transformation ausgelöst. Die Sirene in ihr versuchte instinktiv, sich zu ihrem eigenen Schutz in ein Monster zu verwandeln.
    Gemma riss Sawyer mit ihren Klauen so lange den Arm auf, bis er seinen Griff endlich lockerte und sie sich ihm entwinden konnte. Sie waren mitten auf dem Hafengelände, also rannte sie nur ein paar Schritte von ihm weg. Sie steckte mitten in einer Transformation und hatte keine Ahnung, wie sie gerade aussah. Auf keinen Fall durfte jemand sie so sehen. Gemma kauerte sich zu Boden, legte sich die Hände auf die Augen und konzentrierte sich mit voller Kraft. Ihr Rücken hatte begonnen zu jucken, und sie fürchtete, gleich würden ihm Flügel entwachsen. Aber dann hörte das Jucken plötzlich auf, das Kribbeln ließ nach, und sie spürte, wie ihr Körper allmählich wieder seine menschliche Form annahm.
    » Was machst du denn da?«, fragte Sawyer, und Gemma hob den Kopf. Er stand neben ihr und schaute auf sie herab. Seine Arme bluteten heftig, aber die Wunden wirkten nicht besonders schlimm.
    » Ich versuche verzweifelt, dich nicht zu töten«, gab Gemma zurück und stand auf. » Du solltest mich also lieber gehen lassen.«
    » Ich kann dich aber nicht gehen lassen«, sagte Sawyer, als sei dieser Gedanke ihm unbegreiflich. » Wir müssen hier warten, bis die Sirenen kommen.«
    » Hör mir zu, Sawyer«, beschwor Gemma ihn. » Wenn du versuchst, mich aufzuhalten, dann werde ich dir wehtun. Ich will nicht, aber ich werde es tun. Lass mich einfach gehen, dann wird alles gut.«
    » Nein, Gemma. Du darfst nicht gehen.« Sein Blick war glasig, aber seine Stimme klang entschlossen. Er packte Gemmas Handgelenk mit demselben eisenharten Griff wie zuvor. » Du musst hier warten, bis Penn kommt. Ich kann dich nicht gehen lassen.«
    » Sawyer, bitte«, flehte Gemma. » Du stehst gerade unter einem Bann, aber du kannst dich dagegen wehren. Wach auf. Erinnere dich daran, dass du nicht alles tun musst, was die Sirenen dir befehlen. Du magst sie doch nicht einmal.«
    Sie versuchte, ihr Handgelenk zu befreien, aber Sawyer ließ sie nicht los. Die verdammten Sirenen hatten ihn zu gut dressiert. Wahrscheinlich musste sie sich doch noch in ein Monster verwandeln, um zu entkommen.
    » Gemma!«, schrie Alex hinter ihr, und als sie sich umdrehte, sah sie, wie er die Böschung