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Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)

Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)

Titel: Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Günther
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Flussnymphe berührt wurde, stand er unter der Aufsicht der verheirateten Tochter eines Hausbewohners, die ihn abgeholt und mit den eigenen Kindern zum Baden gebracht hatte. Als sie ihn am späten Nachmittag äußerlich wohlbehalten wieder bei seinen Großeltern abliefert, hat die junge Mutter den peinlichen Zwischenfall tunlichst verschwiegen, vielleicht ist ihr aber auch dessen unheilträchtiges Ausmaß nicht ganz bewusst gewesen. Was Cornelius angeht, so ist er vom eben Erlebten noch viel zu sehr mitgenommen und daher nicht beredt genug, den Ablauf des glücklich abgewendeten Missgeschicks in klare und verständliche Worte zu kleiden, die Erwachsenen machen aber auch keine merklichen Anstalten, ihn wirklich verstehen zu wollen – wie schon so oft, überhören sie ihn auch diesmal wieder. Als stumme Wasserleiche hätten sie ihn wohl ernst genommen, dafür aber seine Geschichte erst recht nicht mehr zu Gehör bekommen, und damit wäre ihnen nur recht geschehen. Es wird jedenfalls noch Jahre dauern, bis er sich zum Baden wieder in ein fließendes Gewässer traut. Sogar das Schwimmen muss er von Grund auf wieder neu erlernen. Dennoch ist aus ihm mit der Zeit ein ausdauernder und mutiger Fahrtenschwimmer geworden.

Förmlich grün und blau geschlagen wird Cornelius in der frühen Kindheit nicht. Einmal nur züchtigt den Jungen eine von wahnsinnigem Zorn beseelte Tante mit prasselnden Hieben auf die Schulter, den Rücken und die Brust und scheucht ihn mit groben Stößen heimwärts, wobei sie ihn unentwegt ausschimpft. Tante Carla hat über alle Maßen erbost, dass er in einem unbeobachteten Moment, in einem offensichtlichen Anfall von Lebensfreude, den frisch gereinigten und gestärkten Knabenanzug mit Mehl bestäubte. Das Mehl war aus einer aufgerissenen Tüte gerieselt, die in einem Einkaufsnetz stak, das Cornelius, sich auf dem Trottoir mehrmals ausgelassen um die eigene Achse drehend, fröhlich hin- und hergeschwenkt hatte.
    Mehl, Würfelzucker, Salz, Kaffee, Tee, Malzbier, Essig, Gelatine, Palmin, Rumaroma, Orangeat, Zitronat und dergleichen holte man in einem Lebensmittelgeschäft – niemandem wäre es damals auch nur im Traum eingefallen, es als »Tante-Emma-Laden« zu bezeichnen –, Milch, Eier, Topfen, Butter und Käse kaufte man dagegen im Milchgeschäft, Wurst und Fleisch beim Metzger, Brot beim Bäcker, oft in einer ganz bestimmten, weit abgelegenen Bäckerei, die ein röscheres Brot buk als der Bäcker um die Ecke, Obst und Südfrüchte am fahrbaren Verkaufsstand, Zeitungen und Illustrierte an einem Kiosk, der sogenannten Trinkhalle, Franzbranntwein, Kosmetika oder Waschmittel in der Drogerie. Außer einer Filiale des Coop, der ehemaligen Konsumgenossenschaft, gab es in der näheren Umgebung noch keinen Supermarkt, nur einen Feinkostladen, wozu manche Leute aber immer noch Kolonialwarenhandlung sagten. Bei den Besorgungen, die er für seine Großeltern, seine Tante und anfangs auch noch für seine Urgroßmutter zu erledigen hat, muss Cornelius also mehrere, oft weit auseinandergelegene Orte aufsuchen, an vielen Theken anstehen und viele Aufträge im Gedächtnis behalten beziehungsweise auf dem Einkaufszettel abhaken. An dem Tag, da ihn seine Tante Carla verprügelte, hat er sich nicht nur schmutzig gemacht, sondern obendrein verspätet. Auf seiner ausgedehnten Einkaufsrunde ist Cornelius einigen Straßenkindern begegnet, den Verlockungen ihrer wilden Spiele erlegen und achtete dabei nicht auf die Festtagskleidung, mit der man ihn sorgfältig herausgeputzt hat, um Carla anlässlich eines nachmittäglichen Bummels durch die Kaufhäuser der Innenstadt zu begleiten.
    Gelegentlich ein paar saftige Ohrfeigen und hin und wieder ein schmerzhaftes »Hirnbatzl«, ein Schnippen des Mittelfingers, über den Daumen hinweg gegen die Stirn des Delinquenten geführt, das waren die womöglich sogar als Liebkosung gedachten Züchtigungen, die er sich im Übrigen, wie man ihm jedes Mal nach erfolgter Verabreichung versicherte, redlich verdient hatte, ansonsten gab das Betragen des Jungen offenbar keinen Anlass, gröbere Körperstrafen wie Stockschläge oder Prügel in Anwendung zu bringen. Die meiste Zeit scheint Cornelius demnach ein artiger und braver Junge gewesen zu sein. Zu brav vielleicht, wie manch einer warnend zu bedenken gab, aber so jemand hat auch nicht den Schimmer einer Ahnung, was es bedeutet, in der beständigen Furcht zu leben, dass einem womöglich die Hände abgehackt werden können oder dass man unter

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