Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)
kleinen praktischen Dinge ist. Mit nörglerischer Sorgfalt führt sie den Haushalt, schont, pflegt und poliert Einrichtung und Gerätschaften, ordnet und gruppiert alle Stücke zweckmäßig und gefällig, damit für den vergänglichen Augenblick ein schmuckes Gesamtbild entstehen kann, das den säuberlich in den Versandhauskatalogen und Schaufenstern der Kaufhäuser arrangierten Stillleben gleichkommt. Arg aus der Mode Gekommenes sortiert sie aus und schafft es in einer Wiederkehr des Ewiggleichen in kaum merklich veränderter Gestalt wieder an. Unermüdlich besorgt, drückt sie mit ihrem Tun und Lassen dem begrenzten Bereich des Häuslichen einen illusorischen persönlichen Stempel auf. Ein schier endloser Strom belangloser Erinnerungen an die damit verbundenen sisyphosgleichen Mühen ergießt sich feierabendlich aus ihrem Mund. Wenn ihr danach ist, und eigentlich ist ihr immer danach, schneidet sie damit Ludwig, der beim Abendbrot gern die eine oder andere, mehr oder weniger appetitliche Begebenheit aus dem Polizeialltag los werden möchte, hemmungslos das Wort ab.
Auf Cornelius wirkt Carlas eilig dahinplätschernde hohle Geschwätzigkeit in hohem Maß einschläfernd. Bei Ludwig führen ihre beständigen Unterbrechungen dazu, dass seine wichtigtuerischen Tiraden immer sprunghafter werden und er keine von ihm angefangene Erzählung wieder auf den Punkt, geschweige denn zu einem vernünftigen Abschluss bringen kann; seine rechthaberischen Geschichten und Gleichnisse haben bald weder Hand noch Fuß. Ludwig ist und bleibt dafür der Mann der Redensarten:
Mein lieber Schwan, ich kenne meine Pappenheimer, das gehört doch dazu, das kann doch einen Seemann nicht erschüttern, jedem Mann ein Ei, dem braven Schweppermann gleich zwei
. Zur Bekräftigung seiner zerfahrenen Ansichten bedient er sich für gewöhnlich drei oder vier solch sprichwörtlicher Redensarten, wobei ein schicksalsergebenes »Was soll’s« immer öfter als Ausrufezeichen herhalten muss.
Mit Cornelius verbindet Carla eine eifersüchtige Hassliebe. Einerseits ist seine Anwesenheit Gift für die zwanghafte Ordnung, die sie glaubt, den Dingen und Menschen auferlegen zu müssen. Andererseits fühlt sie sich auf unverständliche Weise zu ihm hingezogen. Besonders nachdem sie an den Flecken auf den Bettlaken die merkwürdige Veränderung registriert hat, die in ihm vorgegangen ist. Schließlich gibt sie ihrem lange verhaltenen, aber nicht länger zu zügelnden Drang nach. Nach einem ausgiebigen Fernsehabend findet sie einen Vorwand, um vor dem Gang ins eheliche Schlafzimmer noch nach dem Jungen zu sehen, der seinerseits wach liegt, geplagt von der Sorge, bei einer anstehenden Mathe-Prüfung abermals zu versagen, und der zugleich voller Gewissensbisse ist wegen der manischen Fleckenproduktion. Carla tritt an das Klappbett heran, wobei sie sich so dicht über ihn beugt, dass sein Blick mühelos in den weit sich öffnenden Ausschnitt ihres lachsfarbenen Nachthemds fällt und auf die bloßen Spitzen ihrer wie Kegel geformten Brüste. Anfänglich streichelt sie nur zart über seine Wange hin, gibt sich aber bald einen Ruck und küsst ihn lange und immer inniger werdend auf den Mund, wobei sie mit ihrer forschen Zungenspitze Lippen und Zähne des Jungen öffnet und nach seiner Zunge tastet. In fester Umarmung verschmelzen beide miteinander und vergehen fast. Nach einer kleinen Ewigkeit löst sich Carla von dem entflammten, in seinen Gefühlen verwirrten Knaben, dem vor sündigem Verlangen das heiße Herz bis hinauf zum Halse schlägt, und girrt im Hinausgehen leise aufseufzend:
Ach, ich bin ja doch nur deine alte Tante
. In dieser Nacht und noch in vielen Folgenächten wird Cornelius von unkeuschen Gedanken und hitzigen Wallungen heimgesucht. Das Blut in seinen Adern rast und klagt ihn an, ihm schwirren Kopf und Sinne. Erbarme dich seiner, o gerechter, gütiger Gott, denn wenn ihn das Leben weiterhin so schwer auf die Probe stellt, dann wird seine unreine Seele unweigerlich in den Abgrund sinken, dann wird er niemals dem Flammenmeer der Hölle und der ewigen Verdammnis entrinnen.
Carla führt ihn noch mehrmals in teuflische Versuchung. Splitternackt tänzelt sie einmal ins Badezimmer, obwohl sie genau weiß, dass er noch im Flur vor dem Schränkchen kniet, worin er die Schulsachen aufbewahrt. Ein andermal lässt sie ihn beim Putzen der Oberlichte die Leiter halten, doch siehe da, unterm Kittel trägt sie keine Wäsche. Peinlich verlegen schielt Cornelius
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